“Mensch, da drückst du bei mir genau den richtigen Knopf”
RAPVTRE Interview, Transkript vom 18. April 2019
Nachdem das Demo ‘Feast Upon Their Flesh’ von RAPTVRE bei uns besprochen wurde, ergriff Betreuer GI die Gelegenheit und lud die beiden Masterminds Kirill Gromada und Stefan Braunschmidt zum Telefon Interview, um mehr über Band, Verdammnis und Black Metal zu erfahren.
Wie kam es überhaupt zu dieser Kooperation/dieser Band/diesem Projekt?
Kirill: Stefan ist ein ehemaliger Arbeitskollege von einem Bandkollegen von Pripjat. Unsere Gespräche beim Kennenlernen waren eigentlich nur ein Zuwerfen von “Ich sehe das genauso wie du”. Wir haben uns auf Anhieb verstanden. Für uns beide ist Musik das Wichtigste im Leben. Diese Form von spontanem gemeinsamen Verständnis hatte ich bisher nur einmal, und zwar mit Bobo (Drummer) von Ayahuasca. Aber auf einer anderen Ebene. Ein Schlagzeuger nimmt Musik auf einer anderen Ebene war. Stefan hingegen als Bassists, also einem Melodie-Instrument, hat deshalb eher ein tieferes Verständnis für Songstrukturen und Melodie-Abfolgen, was bei uns ein total wichtiger Punkt ist. Und irgendwann nach dem dritten Treffen, war klar, man muss etwas zusammen machen. Die erste Überlegung war dann: Jeder hat viel zu tun (mindestens zwei andere Bands), also machen wir das als Studio-Projekt. Wir schaffen uns die Zeit, die wir dafür brauchen.
Stefan: Wir fanden nicht nur einige Bands gemeinsam gut, sondern wir fanden auch die gleichen Dinge an den Bands gut. Wir hatten von Anfang an ein gemeinsames Ästhetik-Verständnis. Musik wirkt ja auf jeden sehr individuell. Aber bei uns war die Wirkung so ähnlich. Und darüber hinaus hatten wir auch ein identisches Verständnis von professionellem Arbeiten, Komposition und dem Erstellen aller Bestandteile eines Songs bzw. einer Komposition.
Da ist also eine ganz bestimmte Chemie zwischen euch.
Da ist sicherlich die Chemie gewesen. Wir haben in acht Wochen ein komplettes Album geschrieben, das fertig in der Schublade liegt. Man siehts auch auf der Demo-CD. Wir unterscheiden nicht, wer was komponiert hat. Das sind wir beide. Schau dir die Credits auf der Rückseite der CD an. “Kirill & Stefan: Guitars, Bass. Vocals, Komposition & Programming” und das ist halt auch so ein Punkt: am Ende habe ich natürlich Bass gespielt, und Kirill die Gitarren, aber auf dem Weg dahin gibt es keine Instrument-Zugehörigkeit. Jeder ist in der Lage, für alle Instrumente zu schreiben und sie auch einzuspielen.
Als Drummer habt ihr bereits Bobo von Ayahuasca genannt.
Kirill: Der Bobo ist die erste Wahl. Der spielt und interpretiert die Sachen so, wie er es will. Auf dem Demo sind die Drums aber programmiert. Bobo wird dann die Songs auf der Scheibe spielen und die Sachen, die uns wichtig sind, sicherlich auch so spielen. Aber er wird noch seine ganz eigene Note hineinbringen. Dazu muss man aber auch verstehen, was das Konzept von RAPTVRE ist: RAPTVRE sind Stefan und ich. Das ist ganz wichtig.
Deshalb sind wir mit den anderen Musikern flexibel. Denn Bobo z.B. hat auch nicht immer Zeit. Es gibt auch einen anderen Drummer, den wir noch rechtzeitig bekannt geben. Aber genauso ist es mit dem Gesang: Thorn (Sänger bei Necrotic Woods) bringt seinen ganz eigenen Stil mit hinein. Für das Demo war es aber nicht so wichtig ein richtiges Schlagzeug zu haben.
Stefan: Bobo ist der King.
Die Drum Passagen wurden also von euch selbst programmiert?
Beide: Ja, genau.
Kirill: Wir sind da kompositorisch herangegangen. Das Schlagzeug macht nicht nur den Rhythmus, sondern ist auch die Begleitung für den Song.
Stefan: Man muss dazu wissen, dass wir beide einen ziemlichen Schlagzeug-Fetisch haben, wobei Kirill sogar noch richtig gut spielen kann. Ich bin hingegen in der Theorie ein guter Schlagzeuger, kann es praktisch aber überhaupt nicht spielen. Dennoch haben wir beide eine sehr konkrete Vorstellung vom Schlagzeug und haben uns gemeinsam viel Gedanken über Fills und die gesamte Ästhetik des Schlagzeugs gemacht.
Sprechen wir mal über die Musik. Der Opener des Demos ‘Feast Upon Their Flesh’ ist ein Gewitter an Atonalität, Power und ein Funken ‘Evil Fun’
Stefan: Als wir den Song geschrieben haben, waren wir beide high. Ich allerdings eher hormonell, da ich selbst nicht rauche und kiffe. Wir haben den ersten Song nach einer Zwei-Tage-Session innerhalb von anderthalb Stunden heruntergeschrieben. Wir haben uns keine Gedanken über Harmonien gemacht, sondern einfach nur aufgenommen.
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‘Devouring Mist’, der letzte Song des Demos, was bedeutet das?
Da muss man weiter ausholen. Auf der Platte später und leicht angedeutet in den drei Songs des Demos, gibt es ein lyrisches Konzept. Man kann eigentlich keinen Song isoliert betrachten, weil alle miteinander verwoben sind. In jedem Song gibt es Textzeile, die in einem anderen Kontext eingebettet werden. Es geht um ein lyrisches Konzept, das einen mystischen Touch hat und im Stil einer Prophezeiung geschrieben ist. Die Grundidee ist, eine Welt zu beschreiben, in der alles auf der Klippe zur Entartung steht, wo alles kurz davor ist, so dass man eigentlich nicht mehr damit leben kann, also an einem Grenzpunkt ist, wo alles umkippen kann. Zu einem Punkt wo einem nichts mehr bleibt, mit dem man leben kann. In dieser Prophezeiungs-ähnlichen Erzählstruktur geht es um eine Art Macht, die heraufbeschworen wird, die gar nicht so esoterisch gemeint ist, sondern die für alles Ursprüngliche steht, zu dem man sich zurückbesinnen soll, was als Gegengewicht zu allem Vernichtenden steht. Und diese Dualität wird in Bilder in den Songs dargestellt. Da gibt es z.B. einen Song, wo es um Tag und Nacht geht. In ‘Devouring Mist’ geht es um dieses “organisch vs. mechanisch.” Es geht da auch um die digitale Welt in der wir mittlerweile leben. Filterblase als Stichwort. Es geht also um die Dualität in der wir leben und das zurückfinden zur Ursprünglichkeit.
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Der Bandname RAPTVRE bzw. das Wort steht ja für ‘Entzückung’
Kirill: Der Name hat nichts mit der Übersetzung zu tun. Sondern kommt aus der Welt der Videogames (Bioshock) und aus einem Song von Morbid Angel. Diese Stelle von Morbid Angel ist mir einfach sehr im Kopf geblieben: “In Rapture I’m reborn”. Rapture bedeutet auch Entgeisterung, Erlösung eher.
Stefan: …oder auch den Wechsel von Immanenten, also vom Weltlichen, ins Transzendente. Es deutet auch auf das Spirituelle in unserer Musik. Bioshock, zeigt halt eine Stadt, die unter Wasser ist, wie ein Refugium, im Art-deco Stil gebaut, von einem Visionär, der eine Stadt fern von politischen und weltlichen Anschauung, fern von Zensur beherrscht. Wo es also um die Freigeistigkeit und das Tolerieren der Entartung von Kunst geht.
Die Musik hat enorm viel Bewegung. Gefühlt steht in der Mitte Gitarre und Gesang. Wie passt da der Gesang dazu?
Stefan: Thorn singt im Prinzip in seiner anderen Band genauso wie bei uns.
Kirill: Ich kannte Thorn schon vorher von Konzerten. Wir waren uns aber beide einig, dass er der Mann für uns ist. Wir haben ihn einfach angeschrieben. Einfach gefragt, ob er Bock hat. Er hat dann das Material vorab bekommen und konnte sich so vorbereiten, aber ohne mit uns zu proben. Er kam also aus der Nähe von Detmold zu uns nach Köln zum Aufnehmen und hat dann die Hölle auf uns losgelassen. Das war Wahnsinn. Dazu muss man sagen, dass es so eine typische Findungsphase, wie sie andere Bands oft haben, bei RAPTVRE gar nicht gab. Mit Stefan zusammen entstand das Konzept und die Komposition. Die Tiefe der Band, wie weit das Ganze gehen sollte, hatten wir beide schon bestimmt, bevor es überhaupt den ersten Ton gab. Es gab also keine typische Findungsphase beim Jammen oder Proben. Mit dieser Vorstellung sind wir eben auch zu Thorn gegangen und er hat es sehr ernst genommen. Bzw. wir haben auch deutlich gemacht, wie ernst es uns ist.
Er ist dann gekommen und hat das Ding so dermaßen überzeugend eingebrettert, dass wir in dem Moment einfach wußten “Ja, genau. Das braucht die Band. Das ist es”
Stefan: Uns war halt klar, dass unsere Musik viele Death bzw. Black Metal Einflüsse verarbeitet. Es wäre eine Einfaches gewesen die Songs einfach tief “zugrowlen” zu lassen. Das hätten wir auch selbst machen können. Der Gesang sollte zu der Musik, die schon viele Aspekte aus dem Death Metal vereint, einen Kontrast setzen. Die Stimme sollte viel fragiler und facettenreicher sein. Die Stimme sollte also nicht nur auf maximale Stimmband-Muskelkraft ausgelegt sein, sondern ausdrucksstärker sein. Halt eher eine Black Metal Note einfügen. Thorn hat dabei auch eine unglaubliche Ausdrucksstärke und theatralische Tiefe, die die meisten Death Metal Sänger gar nicht haben.
Kirill: Wir haben auch viel darüber nachgedacht die Vocals auch selbst zu machen. Viele der existierenden Backings und Growls auf dem Album habe ich gemacht. Der Thorn macht aber eben den Black Metal Stil bei den Songs aus. Er stellt damit stilistisch genau das dar, wo wir beide hin wollten: Stefan kommt eigentlich mehr aus dem Punk, ich mehr aus dem Heavy Metal und wir wollten halt zusammen Black Metal machen. Wir haben uns im Vorfeld auch viel mit der Szene und Musik beschäftigt. Und bezeichnen unseren Stil auch liebevoll “Deathened Black Metal”.
Ich sehe euch als neue Kunstform, die möglicherweise in der Lage ist, Klischee-Wände niederzureißen. Ich glaube fest daran, dass Musik mit der Tiefe, wie sie bei RAPTVRE vorliegt, zu mehr dar ist. Das ist keine Nischenmusik mehr, eher eine echte Kunstform.
Stefan: Danke. Das hört man natürlich gern. Wir würden uns natürlich freuen, wenn wir viele Leute damit erreichen würden. Da soll es keine Grenze geben. Schön wäre es, wenn die Leute die gleiche Freude empfinden beim Hören, wie wir sie hatten beim Schreiben und Spielen.
Stehen Gigs an?
Kirill: Wir arbeiten daran. WIr arbeiten daran es bühnentauglich zu kriegen. Aber klar ist auch: Unsere Hauptprojekte stehen im Vordergrund. Jede Zeit, die in RAPTVRE geflossen ist, musste natürlich mit den anderen Bandkollegen besprochen werden. Wir haben da aber auch nur Unterstützung erfahren. Und wenn es sich mit den Bands Ayahuasca, Shitshifter und Pripjat vereinbaren läßt auch hier und da mal einen Gig einschieben. Definitiv.
Wie siehts mit der CD aus? Ab wann können wir damit rechnen?
Kiril: Wir arbeiten dran. Das Album ist geschrieben. Es fehlt die eigentliche Aufnahme, sowie das Mischen. Wir müssen halt die Zeit zum Aufnehmen finden. Auf der anderen Seite ist ja das Ayahuasca Album erst vor Kurzem erschienen und deshalb beginnt das Promoten des Albums jetzt erst so allmählich. Bis zum Ende des Jahres sind es ja immerhin noch 7-8 Monate. Bis dahin findet sich definitiv noch die Zeit.
Stefan: RAPTVRE lebt auch davon, dass wir versuchen alles so gut und professionell zu gestalten wie nur irgendwie möglich. Wir versuchen wirklich das Optimum aus Zeiteinsatz und Ergebnis herauszuholen. ShitShifter wird aber auch noch dieses Jahr eine Platte aufnehmen und ich werde noch in einer anderen Band den Bass einspielen.
Ihr habt am Anfang die gemeinsame Arbeitsweise genannt. Was verbirgt sich dahinter?
Kirill: Eine Voraussetzung ist mal sicherlich, dass wir beide sehr gut mit unseren Tools umgehen können.
Stefan: Ungewöhnlich ist sicherlich auch, dass wir beide mit unterschiedlichen Tools arbeiten. Wir schicken uns deshalb immer Rohdaten hin und her. Und jeder steht in der Verantwortung, dass in sein System zu übertragen. Jeder von uns erkennt an den Rohspuren, wie es gemeint ist. Da spielt der Mix oder irgendwelche Plug-ins gar keine so große Rolle.
Sind die Kompositionen eigentlich aufgeschrieben?
(Gelächter)
Nein, das läuft alles ganz anders. Und das ist vielleicht auch das Besondere gewesen. Lange bevor wir uns kennengelernt haben, haben wir beide einen nahezu identischen Arbeitsstil entwickelt, und der beinhaltet. dass man den Song schreibt, während man ihn aufnimmt. D.h. du hast eine Idee, und ein oder zwei gut miteinander harmonierende Riffs, und während du die aufnimmst, spielt sich im Kopf intuitiv schon ab, wie der Song weitergehen muss. Und dann nimmst du einfach Part für Part auf und die Fantasie schreibt für dich den Song, während du ihn aufnimmst. Am Ende ist es dann ein geiler Song, oder ein Song, der in der Theorie funktionieren müsste. Beim Schreiben des Albums hatten wir eigentlich bei jedem Song früher oder später einen Punkt erreicht, wo einer von uns den Song komplett zerpflückt neu arrangiert hat.
Kirill: Moment, nicht bei jedem Song.
Stefan: Stimmt, aber bei einigen. Aber derjenige hat sich die Teile genommen, neu angeordnet, und sich auch mit einer Portion Abstand der Komposition neu genähert und so eine neue Version geschaffen. Da hilft es, wenn man zu zweit ist.
Nun hätte ich aber Lust euch beim Jammen zuzuhören!
Stefan: Hmm, ja, ne, dass geht ja nicht. Bei uns gibt es ja eigentlich kein Jammen oder Proben. Wir schreiben ja die Songs, während sie entstehen.
Kirill: Das nimmt dann stellenweise auch komische Züge an, weil wir uns im Nachgang teilweise fragen “Was hab ich da eigentlich grad gespielt?” und müssen uns dann die zuvor gespielten Riffs wieder raushören.
Stefan: Das macht aber den Sound aus. Ganz viele Riffs sind atonal, folgen keinem Schema oder einer natürlichen Tonleiter. Deswegen kann man sich die Riffs nicht mit Logik erschließen, wie es z.B. bei Metal Riffs möglich ist. Da hat man es dann schon, dass die Tonfolgen einem Muster folgen, das sich eben aus der darunterliegenden Tonleiter ableiten läßt. Bei RAPTVRE scheißen wir aber die meiste Zeit komplett auf Tonleitern.
Die Atonalität gepaart mit gefälligeren Teil strahlt eine ganz besondere Dynamik aus.
Stefan: Das ist das Herz in unserer Musik. Egal wie hart die Riffs ballern, für uns beide ist Atmosphäre und Harmonie immer das Wichtigste, bzw. Immer der wichtigste Faktor, der am Ende den Song tragen muss. Wir spielen damit deshalb immer auf der Grenze von Atonalität und erkennbaren Melodien, die ihrerseits aber immer mit reibenden Tönen versetzt ist. Wir wählen nicht die einfache Variante, sondern die etwas Schwierigere, die sich immer ein wenig am Gehörgang reibt und die Atonalität verstärkt und betont.
Kirill: Das ist eben auch für mich etwas ganz Besonderes bei anderen Bands, wenn ich diese Art von Atonalität/Riffs wahrnehme, sind das immer die Gänsehaut Momente. Wo ich immer denke “Mensch, da drückst du bei mir genau den richtigen Knopf”. Und das war eben auch genau das, was wir uns bei RAPTVRE am Anfang überlegt haben. Diese hässliche Dissonanzen, die sich in falschen Melodien wiederfinden, dann doch wieder eine Note haben, die dich wieder Richtung Verdammnis nach unten ziehen. Man sollte also so gesehen über das gesamte Album kein positives Gefühl haben. Es soll schon alles hässlich, böse und räudig sein.
Text: Gilles Iachelini
Fotos: Gilles Iachelini, Raptvre
Mit freundlicher Genehmigung
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