(49:53, MP3 320Kbps CBR, Domino, 2019)
Was für eine vielversprechende Idee: Man nehme eines der kommerziell erfolgreichsten Orchesterwerke der Neuzeit, eine ambitionierte Sängerin aus dem Trip Hop, die seit elf Jahren kein Album mehr veröffentlicht hat, und fügt dem Ganzen noch einen der renommiertesten Komponisten Polens, der es als einer der wenigen der Avantgarde zugeordneten Künstler geschafft hat, die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Was kann da schon schief gehen?
Nicht viel.
Einleitend sei vermerkt, dass die “Symphony No. 3” von Henryk Górecki der Inbegriff der Traurigkeit, aber deshalb auch vielleicht gleichzeitig einer Schönheit ist, derer man sich kaum entziehen kann, auch ohne dass man klassische Musik studiert hat. Górecki, dem die Einfachheit der Komposition anfänglich sogar zum Vorwurf gemacht wurde, auch teilweise als “One Hit Wonder” verschrien, und im November 2010 im Alter von 76 Jahren verstorben ist.
Auf der anderen Seite Krzysztof Penderecki, polnischer Komponist und wohl auch Weggefährte Góreckis, bekannt für seine avantgardistischen Werke wie “Threnody For The Victims Of Hiroshima For 52 Stringed Instruments” als Gedenken an die Opfer von Hiroshima, oder die “Lukas Passion“, deren wohl bekannteste Aufnahme mit dem National Radio Symphonie Orchester 1989 aufgezeichnet wurde. Eben jenes Orchester, das auch für diese Neuauflage der “Symphony Nr. 3” hinzugezogen wurde.
Als Dritte im Bunde ist da Beth Gibbons, die sich weitestgehend aus dem Musikgeschäft zurückgezogen hat, keine Interviews mehr gibt und in der Zwischenzeit zwei Filme gemacht hat (Diane Bertrand’s “L’Annulaire” und “Baby Blues”). Um das für Sopran ausgelegte Werk singen zu können, war es notwendig, dass sie ihre Stimme in eine höhere Lage bewegt. Dazu hat sie die Hilfe von zwei Gesangslehrern in Anspruch genommen. Auch war es nicht damit getan, die Stimme zu trainieren, denn die Texte zur „Symphony Nr. 3“ sind auf Polnisch. Hierzu mussten Aussprache und Intonation geübt werden. Das Notenlesen stellte eine zusätzliche Hürde dar, da es im bisherigen Leben der Musikerin keine Rolle gespielt hat.
Das war eine ganze Reihe an Herausforderungen, die es zu meistern galt.
Und dann ist da natürlich noch die Symphonie Nr. 3 selbst. Musikalisch macht Górecki Gebrauch von der Technik des Kanons, was für alle Beteiligten eine zusätzliche Herausforderung darstellt. Die Symphonie besteht aus drei Sätzen, die sich jeweils mit der Trennung zwischen Mutter und Sohn beschäftigen und dabei eine Tiefe entfalten, die ans Herz geht. Im ersten Satz geht es textlich um Maria, die den Verlust ihres gekreuzigten Sohnes beklagt. Górecki und Krzysztof Penderecki sind beide Katholiken und den biblischen Themen sehr stark verbunden. Im zweiten Satz handelt es sich textlich um ein Gebet, dessen zugrunde liegender Text von einer Wand eines Gestapo Gefängnis entnommen ist. Der dritte und letzte Satz basiert auf einem Text aus einem oberschlesischen Volkslied, in dem eine Mutter um ihren toten Sohn trauert.
Das sind sehr emotionale Themen, weshalb es nicht alleine nur um die technischen Herausforderungen wie Stimmhöhe und Aussprache geht, sondern auch um die Energie, die man in die Interpretation legt. Und das ist Beth Gibbons sehr gut gelungen. Ihre Interpretation ist glaubwürdig und berührend. Auch meistert sie die technischen Herausforderungen, besonders im ersten Satz, hervorragend. Für Jemanden, der diese Symphonie noch nie gehört hat, ist Beth Gibbons Interpretation ein wunderbarer Einstieg in die Welt von Górecki.
Wenn man hingegen auf die Interpretation des Orchesters achtet, fällt einem eine dynamische Glätte auf, die man so bei Górecki Interpretationen eher nicht so oft wahrnimmt. Ist doch gerade die Dynamik in dem Werk ein besonderes Merkmal, das die Kritik an der Einfachheit der Komposition locker wieder aufwiegt. Im Vergleich zu vergangenen Aufnahmen der Symphonie Nr. 3 fällt diese Variante nämlich dynamisch eher schwach aus. Das könnte aber auch Strategie sein, um die Stimme von Gibbons mehr in den Vordergrund zu rücken, oder aber der Tatsache geschuldet sein, dass Gibbons Stimme für eine richtige klassische Aufführung nicht ausgebildet ist. Sie würde vermutlich neben einem Orchester einfach untergehen. Während es das Londoner Symphonie Orchester 1992 schafft, per Schallwellen jede einzelne Träne des Hörers einzeln in stoischer Ruhe aus den Augen zu begleiten, wirkt die Gibbons Interpretation wie eine auf niederfrequente Abspielgeräte optimierte Variante, weil eben auch das Orchester zusätzlich in seiner Lautstärke und Dynamik der Stimme angepasst werden musste.
Als Crossover Projekt zwischen Klassik und Populärmusik sicherlich ein Meilenstein, was die persönliche Hingabe von Beth Gibbons anbelangt. Als Beitrag zu der langen Liste der Górecki Interpretation aber eher unterdurchschnittlich.
Bewertung: 8/15 Punkten
Surftipps zu Beth Gibbons Henryk Górecki: Symphony Nr. 3:
Colin Stetson Symphony Nr 3
London Symphony Orchester Symphony Nr. 3 (1992)
Beth Gibbons
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