(162:35, 5CD + 2DVD Box, MiG-Music/Indigo, 2019)
Ein halbes Jahrhundert später. Peter Bursch ist immer noch Deutschlands wahrscheinlich bekanntester Gitarrenlehrer und seine Bröselmaschine nach wie vor ein besonderes Stück der hiesigen Musikgeschichte. Die Besetzung hat sich im Laufe der Jahre naturgemäß immer wieder verändert, dabei aber kaum an Spielfreude und Originalität eingebüßt – zuletzt eindrücklich auf dem Burg Herzberg Festival 2018 sichtbar. Passend zum 50-jährigen Jubiläum erscheint nun eine Kompilation mit allen Studioalben der Band, inklusive zweier Live-Auftritte aus den Jahren 2005 und 2006. Ein stattliches Paket, das die Bröselmaschine in all ihrer musikalischen Vielseitigkeit, aber auch ihren Pionierstatus zeigt.
Als eine der ersten Gruppen der Krautrock-Ära verbanden Bursch und die Gründungsmitglieder Willi Kissmer, Jenni Schücker, Lutz Ringer und Michael Hellbach 1968 fernöstliche Musiktraditionen mit Psychedelic Rock und entrückendem Folk. Es war die Musik der Blumenkinder, die nach dem großen Krieg und einer Jugend im erzkonservativen Elternmilieu die Verhältnisse zum Tanzen bringen wollten – und dies auch nachhaltig erfolgreich taten. Rückblickend muss das Debüt “Bröselmaschine” zu den wichtigsten deutschen Musikerzeugnissen dieser Zeit gezählt werden, das auch neben Cans “Tago Mago” oder “Yeti” von Amon Düül II bis heute bestehen kann. Dabei lagen die Einflüsse von Bursch und seinen Gefährten in der Folktradition Großbritanniens, bei Pentangle und The Incredible String Band, weniger in der dort gerade keimenden Prog-Community, die für andere Vertreter kosmischer Musik so prägend war.
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In Stil und Klangfarbe schien das Debüt dahingehend zwar schon ausformuliert, bewahrte aber dennoch eine warme, fast freundschaftliche Unmittelbarkeit. Einer der Gründe war, dass weder Bursch noch Kissmer Geld für eine E-Gitarre, geschweige denn gerade erst in der Entwicklung befindliche Effektgeräte hatten. Alles blieb akustisch und konnte wohl gerade deshalb so hervorragend über die Jahrzehnte altern. Mittellosigkeit als künstlerischer Segen. Gleich zu Beginn erweckt das in sich verlorene ‘Gedanken’ den Eindruck, als hörte man einem alten Schulkameraden dabei zu, wie er – halb delirant, halb melancholisch – die Lage der Nation beklagt.
»Look up to the sky, heads are flying by
In the land with no heads, fools hang in to trees«
Der zarten Intonation von Bursch und Schücker werden Flöte, Akustik- und E-Gitarre zur Seite gestellt.
»Where love is like a muddy river run by frozen heat
But the green fields go out and out under the sun«
Während des von wunderschönen Licks geprägten Mittelteils keimt dann doch Hoffnung auf, die ohnehin ein wiederkehrendes Element auf diesem Album ist. Davon zeugt auch das fast zehnminütige ‘Schmetterling’, mit sirrender Sitar und Flöten, die von einer besseren Welt träumen.
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Der Nachfolger “Peter Bursch und die Bröselmaschine” (1976) erschien erst fünf Jahre später unter neuer Besetzung, hatte sich die Formation doch 1973 kurzerhand aufgelöst und zwei Jahre darauf wieder zusammengefunden. Die verzögerte Fortsetzung fügte dem Sound des Projekts zwar keine neuen Facetten hinzu, bewies aber auch gleichermaßen, dass das gar nicht nötig war. Denn obwohl etwas von der sanft psychedelischen Magie des Debüts verloren ging, barg das Songwriting der Bröselmaschine immer noch genug Potenzial für ausufernde Jams, flackernde Instrumentalstücke wie ‘Gc’ und aufwändig arrangierte Traditionals vom Schlage eines ‘Wayfaring Stranger’.
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Mit “I Feel Fine” (1977) demonstrierte die Band abermals, dass auch andere Musik hervorragend im Kontext der Bröselmaschine aufblüht. Mittelalterliche italienische Tänze (‘La Rotta’), fast vergessene englische Balladen, die auch schon Joan Baez interpretierte (‘Once I Had A Sweetheart’) oder Ragtime-Dialoge zwischen Tuba und Waldzither (‘Powder Rag’) gehen hier trotz aller Vielfalt konsistent zusammen. Musikalisch daher das ambivalenteste, wenngleich nicht das beste Werk im Bröselkatalog. Ab 1977 war auch Helge Schneider für zwei Tourneen und diverse Jam-Sessions als Keyboarder Teil des Ganzen. Schon damals gab der brillante Autodidakt gerne den Clown, der seine Bandkollegen ebenso wie das unvorbereitete Publikum immer wieder zu überraschen und zu unterhalten wusste. Schneiders Talent wurde mit zarten 17 Jahren von Bursch erkannt und gefördert, woraus eine lebenslange Freundschaft entstand. Mit der Geburt seiner ersten Tochter Anfang der 1980er schlug der Multiinstrumentalist eine Sololaufbahn ein, wurde Studiomusiker, Schauspieler, Komiker. Es folgte ein unkonventioneller und hinlänglich bekannter Aufstieg zu Deutschlands einziger singender Herrentorte. Dennoch kehrt Schneider bis heute immer wieder für einzelne Konzerte zu seiner ersten Band zurück.
Weitere sieben Jahre zogen ins Land, bevor die Bröselmaschine mit neuen Produktionsmöglichkeiten und unter Mitwirken von BAP-Sänger Wolfgang Niedecken “Graublau” (1984) veröffentlichte. Zum Missmut vieler war von der mystischen Atmosphäre der Anfangstage nichts mehr übrig geblieben, stattdessen orientierte man sich eher an der Neuen Deutschen Welle und einem massentauglicheren Sound, der gut und gerne auch in jedem beliebigen Bierzelt laufen könnte. Was war geschehen? Laut Bursch hatte man sich nie dem Mainstream anbiedern wollen, was hier gar nicht in Abrede gestellt werden soll. Wie man aber sonst von ‘Gedanken’ zu einem ‘Olga’ oder ‘Mahlzeit’ gelangt, bleibt dann wohl das Geheimnis eines umtriebigen Musikerdaseins, zurecht gedeckt von künstlerischer Freiheit. Immerhin waren auch tolle Songs wie das textlich für Bursch eher ungewöhnliche ‘Bei uns zuhaus’ auf “Graublau” zu finden.
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Es folgten zwei Jahrzehnte ohne neue Alben, ohne öffentliche Präsenz, sporadische Gigs hier und da. „Das dümpelte so etwas dahin, bis die Anfrage vom Rockpalast kam“ erinnert sich der “Gitarrenlehrer der Nation” in einem Interview zum Jubiläums-Boxset. Erst die Krautrock-Nacht beim Rockpalast 2005, dann ein Jahr später das Konzert auf dem Burg Herzberg-Festival: „Wir haben im Wohnzimmer geprobt, die alte Energie war da – so ging das wieder los“.
Das Publikum ist ein anderes, doch die jungen Generationen nicht weniger an Umbruch und freier Liebe, an politischer Gestaltung und kultureller Neuentdeckung interessiert. Sie begeistern sich für die Musik ihrer Zeit genauso offen, wie für das Erbe der Hippies. Das sieht man dem bunt durchmischten Publikum der beiden Konzerte deutlich an, die neben einigen Interviews den visuellen Teil von “It Was 50 Years Ago Today” ausmachen und diese neu entflammte Spielfreude bei allen Beteiligten offenbaren. Klar wird bei solchen Livebildern, aber auch beim Interview mit Bursch: Dieses Projekt, diese Musik hat allen Unkenrufen zum Trotz noch lange nicht ausgedient.
Bewertung: 13/15 Punkten (KR 11 [Burg Herzberg: 13], NS 13)
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