Dead Can Dance – Dionysus
(36:10, CD, PIAS / Rough Trade, 2018)
Alben von Dead Can Dance haben auch immer eine kulturelle Komponente. Und das hängt nicht nur mit den weltmusikalischen Einflüssen des australisch-britischen Duos Lisa Gerrard und Brendan Perry zusammen, sondern die schreibende Zunft seziert deren Werke eben gerne mal recht ausgiebig im Feuilleton bzw. auf hochgeistigem, intellektuellen Niveau. Deswegen mag für die eigene Meinungsbildung durchaus hilfreich sein, zuvor nichts über ‘Dionysus’, dem ersten Album nach sechsjähriger Pause seit ‘Anastasis‘, zu lesen und sich eben seine ganz eigene Meinung über den musikalischen und kompositorischen Inhalt zu verschaffen.
Gerade mal 36 Minuten Laufzeit, aufgeteilt in zwei mehrteilige Suiten (betitelt ACT I und II), erscheinen selbst für Dead Can Dance auf den ersten Blick eher ungewöhnlich. Doch stand hier wohl eindeutig die konzeptionelle und künstlerische Bedeutung im Fokus, so dass man sich für diese nicht alltägliche Aufteilung entschied. Musikalisch ist das Album wesentlich mehr auf rein instrumental ausgeschmückte, rhythmisch treibende, gleichwohl sehr sphärische Stimmungen zwischen Orient, Mystik, afrikanischen Einflüssen und weltmusikalischer Weiträumigkeit beschränkt, wird der Gesang der beiden Protagonisten eher sparsam eingesetzt. Gerade das sonore Organ von Brendan Perry vermisst man über weite Strecken, da er recht wenig gesanglichen Freiraum eingeräumt bekommt, während Lisa Gerrard mit ihrer ätherischen, wandlungsreichen Stimme lautmalerische Akzente setzt.
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So fehlen auf “Dionysus” solch magische, fesselnde Momente, die z.B. den Opener ‘Children Of The Sun’ vom letzten Longplayer ‘Anastasis’ auszeichneten, doch funktioniert die schwebende Klangästhetik mit allerlei exotischen Instrumentarium (sowie dem Frauenchor The Mystery Of The Bulgarian Voices) in einer etwas anderen, weniger prägnanten Ausrichtung. Zwar kennt man die musikalischen Zutaten bereits von anderen Dead Can Dance Werken, allen voran “Spiritchaser” (1996), doch verfügt “Dionysus” über eine eigene musikalische, mitunter ruhige, nicht immer sofort spektakuläre, bisweilen zu unaufgeregte Erzählweise. Etwas mehr Schwung und inhaltliche Abwechslung hätte diesem Songzyklus jedoch sicherlich gut zu Gesicht gestanden.
Begleitend zum Album werden Dead Can Dance im Frühjahr bzw. Sommer nächsten Jahres auch wieder auf Tour unterwegs sein.
Carsten meint dazu übrigens:
Irgendwie laufen bei Tracks wie ‚Dance Of The Bacchantes‘ vor dem geistigen Auge Sandalenschinken wie “Dionysus und die Bacchantinnen”, hier noch mit einem Pierre Brice in der titelgebenden Rolle, ab. Auch hier wird getrommelt und einem eher nicht ganz so vorbildlichen griechischen Gott gehuldigt.
Gut, ganz so kitschig geriet das neue und nebenbei neunte Album von Dead Can Dance dann doch nicht. Überhaupt sollte man in letzter Zeit über jede Lautäußerung von Lisa Gerrard und Brendan Perry dankbar sein. „Spiritchaser (1996), „Anastasis“ (2012) und nun „Dionysus“, ein knappes Vierteljahrhundert für drei Alben. Nur Bands wie Tool oder Künstler wie Peter Gabriel sind in ähnlicher Weise produktiv. Doch erwartet man die maximale Dröhnung Dead Can Dance, wird man bezüglich „Dionysus“ schon ein wenig enttäuscht. Die sieben Tracks sind in zwei kompakt angelegten Acts komprimiert, so dass diese ein durchgängiges Konzept bilden.
Die Achtziger Jahre Synthie-Flächen, die das letzte Album „Anastasis“ zur Gänze bestimmten, sucht man vergeblich, eher sind die Sounds in Form und Habitus an das wohl interessanteste DCD-Album „Spiritchaser“ angelehnt. Was für „Dionysus“ an sich bedeutet, dass es hier durchaus mehr Folklore und Drums gibt. ‚Act I‘ mit seinen Unterordnern ‚Sea Borne‘, ‚Liberator Of Minds‘ sowie besagtem ‚Dance Of The Bacchantes‘ wurden dabei instrumental belassen, die Vocals dienen mehr oder minder als weitere Instrumente in den rituellen Geisterbeschwörungen, die einen vom vorderen Orient über die Regenwälder Südamerikas hin zu den Subtropen Indiens bringen. Im ‚Act II‘ mit seinen Parts ‚The Mountain‘, ‚The Invocation‘, ‚The Forest‘ sowie ‚Psychopomp‘ kommen dann doch noch Lisa Gerrard sowie Brendan Perry sangestechnisch zum Zug, wobei der rituelle Voodoo von ‚Act I‘ bis hierher strahlt.
Man muss den „Dionysus“ wirken lassen, denn dann entfaltet sich seine ganze Magie. Womit das Album schon geheimnisvoller als sein Vorgänger geriet, jedoch mit Ausschnitten wie gerade dem gar nicht einmal so pompösen ‚Psychopomp‘ auch ein wenig Leerlauf mit sich bringt. Am ehesten lässt sich die Stimmung des Albums mit dem „Spiritchaser“-Outtake ‚Sambatiki‘, das später auf diversen Samplern vertreten war, vergleichen. Es darf also wieder getrommelt werden…
Bewertung: 10/15 Punkten (CA 11, KR 9, KS 10)
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Abbildungen: Dead Can Dance / PIAS