Daughters – You Won’t Get What You Want

(48:40, CD, LP, Download, Ipecac, 2018)
Zugegeben, diese Rezension ist etwas spät dran. Aber was soll man machen, wenn eines der absoluten Top-Alben, der vielleicht größte Geheimtipp des Jahres 2018, in der Prog-Community bisher kaum Beachtung gefunden hat? Da sind ein, zwei Monate hin oder her auch schon Wurscht.

Daughters, 2002 in Providence, Rhode Island gegründet, haben sich Anfang der 2000er in der Noise-Rock- und Mathcore-Szene mit ihrem besonders extremen, heiß geschmiedeten Sound einen Namen gemacht. Die ersten beiden Scheiben, „Canada Songs“ und „Hell Songs“, jeweils unglaubliche 11 und 23 Minuten lang, beinhalteten Lieder mit solch kuriosen Titeln wie ‚I Slept with the Daughters and All I Got Was This Lousy Song Written About Me‘ (Laufzeit 1:11 Minuten), ‚Daughters Spelled Wrong‘ (1:41) oder ‚Mike Morowitz, the Fantasy F*ck‘ (0:34). Grob lässt sich das Ganze irgendwo zwischen Grindcore und Dillinger Escape Plans „Calculating Infinity“ verorten (dessen Nachfolge-Album, aufgemerkt, mit Mike Patton am Mikrofon aufgenommen wurde).

Mit dem folgenden selbstbetitelten Album aus dem Jahre 2010 verließ die Band dann schließlich den gewohnten Pfad (wenn man von so einem sprechen kann), Sänger Alexis Marshall hatte sich von Screams bereits auf „Hell Songs“ verabschiedet, die hochexplosive Mischung kühlte sich ab, und verwandelte sich zu einer kompakten, groovenden, aber nichtsdestotrotz extrem schweren Dampfwalze. Die Kritiker priesen die Offenheit, mit der Daughters ihre eigene Musik uminterpretierten. Leider kam es zu unüberwindlichen Spannungen innerhalb der Band, die sich noch während der Aufnahmen aufzulösen begann. Die Fans mussten daraufhin einige Jahre um die Zukunft ihrer Lieblings-Krachkombo bangen.

„You Won’t Get What You Want“ ist schließlich das Comeback-Album, das bereits seit 2014 angekündigt wurde, und nun endlich bei den legendären Ipecac Records (das Hauslabel von niemand geringerem als, wem sonst, Mike Patton himself) im Oktober dieses Jahres erschienen ist. Die Frage nach der Stoßrichtung der Band kann schon mit dem ersten Track ‚City Song‘ beantwortet werden. Mit Mathcore wollen die Daughters an sich nichts mehr zu tun haben. Marshall beschwört mit sonorem, raunendem Sprechgesang „this city is an empty glass“, dass einem Schauer über den Rücken laufen, während tiefes, schleppendes Dröhnen wie von riesigen Maschinen dystopische Szenerien zeichnet. „You Won’t Get“ transzendiert die Genregrenzen, berührt in seinen knapp 50 Minuten Industrial, No-Wave und Avantgarde. Vom 2010er Werk, das im Vergleich dazu beschwingt und tanzbar wirkt, hat sich die Band spürbar entfernt. Man scheint gezeichnet von den Unruhen und der Enttäuschung, die sich in den USA angesichts der politischen Lage breitgemacht hat.

„Everybody climbs up high then falls real far
A little is all it takes
A little is all it takes
[…]
I don’t know what to say
I don’t know what to say when people come apart“

Der 10. Oktober war Mental Health Day. Das Thema „Burn-Out“ ist in aller Munde. Daughters können darüber nur lachen: Für sie bleibt der Mensch unheilbar krank. Ein bemitleidenswertes Wesen, das dazu verdammt ist, gegen seine inneren Dämonen zu verlieren, immer und immer wieder.

„That bastard had a head like a matchstick
Face like he was sucking concrete through a straw […] He says he knows things, this man, he says“

‚Satan in the Wait‘ bricht die Lärmwand mit einer wunderschönen, kristallin-tänzelnden Melodie, die ganz im Gegensatz zum beunruhigenden lyrischen Inhalt steht.

„Their bodies are opening up“

Nach sieben Minuten endet die Nummer in Ungewissheit; Daughters lassen den Hörer in der Schwebe. In ihrer Welt ist kein Platz für Sicherheit und Optimismus.
‚The Flammable Man‘ dreht die Lautstärke wieder höher mit den typischen Zahnarztbohrergitarren, dem wühlenden Bass und hektischem Schlagzeug. „Is something burning here, or is it me?“ Auch in ‚Lord’s Song‘ wird dem Hörer keine Ruhe gegönnt. Klingt so „The sterile voice of God“? Die Band spielt, als ob das Gesagte nicht nur in Worten vermittelt, sondern dem Hörer direkt ins Hirn geprügelt werden müsse. ‚Less Sex‘ bedient sich relativ freizügig bei Nine Inch Nails, ist insgesamt atmosphärischer und tragender geraten. ‚Daughter‘ schwimmt verheißungsvoll unter der Wasseroberfläche wie ein Raubfisch, und ‚The Reason They Hate Me‘ klingt wie eine lang verschollene, verzerrt-zerkratzte Type-O-Negative-Aufnahme. ‚Ocean Song‘ dagegen ist eine lange, sich windende Odyssee, die in einem repetitiv-kakophonischen Finale endet.

„Who locked the door?
Who bent the key?
I’ve been knocking and knocking and knocking and knocking
Pounding and knocking and knocking
Let me in“

‚Guest House‘ schließlich gibt einem den absoluten Rest. Die Band verausgabt sich in einem letzten, verzweifelten Aufbäumen. „Let me in! Let me in!“ Welche Geschichte Alexis Marshall hier auch erzählen mag: Er macht uns zu einem Teil davon. Wir sind am Ende diejenigen, die vor einer verschlossenen Tür stehen und nicht hereinkommen.

„You won’t get what you want“ ist an Intensität kaum zu übertreffen. Heftig, kompromisslos, musikalisch extrem, textlich fordernd. Wer das aushält, was Daughters hier einem vor die Füße wuchten, wird mit einem der besten Alben dieses Jahrgangs belohnt.
Bewertung: 13/15 Punkten (BF 13, KR 12)

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