(78:47, LP, Bureau B, 2018)
Das Erleben von Gemeinschaft in Verbindung mit Musik ist in diesen Zeiten schwer angesagt. Noch nie gab es so viele Festivals, ob über einen Abend oder eine Woche hinweg, Konzerte im Freien, in Bars, Clubs, Kirchen und Turnhallen oder privat organisierte Eventreihen, die alle erdenklichen Genres und Mindsets abdecken und für jeden jedes Jahr das richtige Programm bieten. Das Touren gehört für beinahe alle Interpreten sämtlicher Gattungen ganz selbstverständlich dazu, eine virtuose Show gilt als Qualitätsmarker jedes ernstzunehmenden Musikers. Doch während der Aufnahmen im Studio entfernt sich gerade die moderne Rockmusik immer öfter von improvisierten Ansätzen, roher Konkretheit im Umgang mit musikalischen Ideen und den unerwartet süße Früchte tragenden Happenings der frühen Prog- und Fusion-Ära von den späten 60er- bis zu den frühen 80er-Jahren.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Welches Kollektiv trifft sich denn heute noch zum spontanen, ambitionsfreien Jammen und nimmt in unterirdischen Bunkeranlagen oder entlegenen Landhäusern tagelange Sessions auf, so wie anno dazumal German Oak? Oder Can? Oder das Ströer Duo? Das Abmischen und die Verfeinerung beim Mastering sind in den Fokus gerückt, das gruppendynamische Moment des Unkontrollierbaren erstickt viel zu oft in der Post-Produktion. Nicht so bei den weitgehend anonymen Musikern von Datashock, die schon auf “Pyramiden von Gießen” (2011) und “Keine Oase in Sicht” (2014) aus hypnotischen Psych-Drone-Jams unmittelbar betörend schöne Melodien schöpften, an denen jedes Herumschrauben nur Energie entweichen ließe.
Für “Kräuter der Provinz” versammelten sich die acht Mitglieder von Datashock nicht im Bunker, sondern in der Oetinger Villa in Darmstadt und spielten in wenigen Tagen ausufernde Trips vom Kaliber eines 16-minütigen ‘Im Zuchtstall der Existenzhengste’ ein. Das Gras, das den Jungs und Mädels dabei neben einem umfangreichen Instrumentarium aus verzerrten Gitarren, Bässen und ritueller Perkussion zur Verfügung stand, muss verdammt gut gewesen sein. Wie sonst ließe sich die fieberhafte Dunkelheit von ‘Schönster Gurkenschwan’ oder die schamanistischen Streicherkulissen in ‘Halb-halb, wie ein guter Kloß’ erklären? Nur aus dem Stegreif deliranter Zustände tauchen doch derart hypnotische Klänge auf; Psychedelic Rock tanzt dann ungezwungen mit Tribal Ambient in progressiv ausufernden Arrangements.
Obwohl der Vorgänger von 2014 dahingehend schon keinerlei Wert auf Konventionen legte und inmitten freundschaftlicher Gruppendynamik ein Gefühl des Losgelöstseins vertonte, ist “Kräuter der Provinz” noch ein Stück weit entrückender geraten und kann so in der falschen Stimmung womöglich auch schneller ermüden. Denn beschworen wird Musik zum Davonfliegen, für die inneren Aussteiger und Eskapisten am Ende eines deprimierenden “9to5”-Werktags. Im Dienste dieser dringlichen Weltflucht ergeht sich das Kollektiv der Kohlrabiapostel bis zum Schluss in spukhaften Longtracks von dadaistisch-ritueller Entgrenzung und macht dabei vor allem eines klar: Keine Band Deutschlands führt das Erbe der Krautrock-Ära derzeit andächtiger fort.
Bewertung: 13/15 Punkten (KR 11, NS 13)
Ein Kommentar
Datashock: “the spiralling of winter ghosts” für Apple-Nutzer