(3 CD, Apple/Universal, 2018)
Mitte 1967 waren die Beatles absolut Top of the Pops. Nicht, dass sie es vorher nicht auch schon gewesen wären, aber “Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band” und das im Rahmen einer weltweit ausgestrahlten Fernsehsendung aufgenommene “All You Need Is Love” waren DER Soundtrack zum Summer of Love und thronten über allem, was die Musikszene in diesem Jahr hervorbrachte. Und das war bekanntermassen keineswegs von schlechten Eltern.
Aber dann wurde es schwierig, der Tod von Brian Epstein, die Gründung von Apple und nicht zuletzt die unterschiedlichen Interessen und Lebenseinstellungen, die die Fab Four zunehmend entwickelten, brachten Veränderungen ins Bandgefüge. Dazu kam, dass “Magical Mistery Tour” zum ersten Mal in der Geschichte der Band dieser keine ungeteilte, euphorische Zustimmung , sondern sogar teils heftige Kritik einbrachte.
Da war der Gedanke, sich bei etwas ganz anderem neue Inspiration und vielleicht auch mehr zu holen, naheliegend. Also reiste man auf George Harrisons Vorschlag hin Anfang 1968 unter enormem Öffentlichkeitsinteresse zu Maharishi Mahesh Yogi nach Indien, um sich dort mit der Transzendentalen Meditation zu beschäftigen. Und selbstverständlich tat man dies gemeinsam, wie bisher eben immer. Und genauso selbstverständlich schlossen sich andere Größen der Szene den Beatles an.
Neue Gemeinsamkeiten fand man dort weniger, Ringo reiste als Erster genervt ab, Paul folgte, und auch John – der im Rahmen der lebenslangen Suche nach sich selbst sehr ernsthaftes Interesse an den fernöstlichen Weisheiten aufwies – nahm dem Maharishi dessen Absichten, die Popularität der Beatles für seine Zwecke kommerziell zu nutzen, sehr übel (wenn auch dessen angebliche Avancen Mia Farrow gegenüber ebenso eine Rolle gespielt haben mögen). So führte der Ashram zwar nicht zur Renaissance des vormaligen Bandgefüges, er generierte aber eine Unmenge neuen musikalischen Materials.
Mit diesem machte man sich also an die Aufnahmen zum “White Album”. Und auch hier hatte sich so manches geändert, man bevorzugte einen weniger elaborierten, weniger komplexen Aufnahmestil als noch beim Vorgänger, George Martin steuerte noch einige ausgefeilte Arrangements (u.a. bei “Honey Pie”, “Piggies” oder “Good Night”) bei, überliess aber weitestgehend der Band und seinen Assistenten das Feld und fuhr schlussendlich während der Sessions sogar 3 Wochen in Urlaub. Wechselnde Spannungen und kreative Differenzen in der Band führten darüberhinaus zu manchen Verwerfungen, Yoko wich nicht von Johns Seite und Ringo verliess doch tasächlich sogar für ein paar Tage die Band.
Das Ergebnis kennen wir mittlerweile seit jetzt 50 Jahren. Ja, das Weisse Album hat Geburtstag und dies wird mit Special Editions und einem neuen Stereo-Remix von Giles Martin, George Martins Sohn, ausgiebig gefeiert. 30 Songs umfasst das Doppelalbum und zu jedem gibt es eine oder mehrere Geschichten, alltäglich anmutende, witzige, grausige (Helter Skelter – Charles Manson) und skurrile (Revolution No 9 – Paul is dead). Und natürlich die persönlichen, die so mancher von uns auf der mehr oder weniger langen Reise durch sein Leben mit dem Album verbinden mag.
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Das vorliegende Digipack ist wie das Original schlicht, aber liebevoll gestaltet, beiliegend ist eine etwas mehr als Din-A-4-große Reproduktion des Fotocollage-Posters, das die Wand des Jugendzimmers des Rezensenten schmückte, und heute wie damals die Songtexte auf der Rückseite enthält. Dazu gibt es ein Booklet mit Liner Notes von Paul McCartney, Giles Martin und Kevin Howlett.
CD1 und CD2 (in gewohnter Apple-Vorder- und Rückseitenoptik) enthalten das Album im neuen Remix. Dieser klingt klar und frisch, wobei das Gesamtsoundbild mit Ausnahme von “Revolution No 9” doch weniger vom bisher Gewohnten abweicht, als dies beim Sgt.-Pepper-Remix der Fall war. Dem Rezensenten sagt er auf jedenfalls mehr zu als das ihm doch zu basslastige Remaster von 2009.
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Extrem spannend ist aber vor allem CD3. Diese enthält die sogenannten Esher-Tapes, die ja bereits seit einigen Jahren im Netz in Bootleg-Qualität kreisen. Die Beatles trafen sich vor Beginn der offiziellen Sessions in den Abbey Road-Studios vorab in George Harrisons Haus, sichteten das für das Album in Frage kommende Material und spielten dieses in Form von akustischen Demos ein. Erfreulicherweise verfügte Harrison zuhause über ein für die damalige Zeit ausgesprochen gutes Aufnahme-Equipment. Giles Martin erhielt nun Zugriff auf die Original-Bänder aus Harrisons Nachlass und die Bearbeitung mittels moderner Digitaltechnik lässt die Aufnahmen nun in einem brillanten Klang erklingen, als wären sie erst gestern entstanden. Der Stereomix lässt vor allem wunderschön zwischen den verschiedenen Singstimmen unterscheiden, was den altbekannten Songs völlig neue Akzente und eine wunderbare Plastizität verleiht.
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Und so mag der Beatles-Fan sich nun der Illusion hingeben, zwischen seinen alten Freunden vorm Kamin zu sitzen und ihrem Musizieren zu lauschen. Wie auch den immer wieder eingestreuten Albernheiten und Gimmicks, die hier wesentlich spontaner und weniger bemüht als während der Get-Back-Sessions wirken und durchaus dem eigenen Song beigefügt werden und nicht nur dem des Anderen. Wie auch das konzentrierte Mitmusizieren oder auch nur andächtige Zuhören der Bandmitglieder geniessen, die der Klasse von Songs wie ‘Dear Prudence’, ‘Blackbird’ oder ‘While My Guitar Gently Weeps’ ihren Respekt zollen. Wie auch sich wundern, dass Titel wie ‘Junk’, ‘Child Of Nature’ (= ‘Jealous Guy’) oder ‘Sour Milk Sea’ den Weg auf das Weisse Album nicht fanden, erst deutlich später auf Soloplatten veröffentlicht oder ganz an andere Künstler abgegeben wurden. Und vor allen Dingen: sich an der so offensichtlich einzigartigen Harmonie, der gewohnten Verschworenheit und der Freundschaft, die die Band über Jahre so einzigartig gemacht hat, begeistern. Was sich ja so noch einmal wohltuend von allen Differenzen abhebt, die noch kommen sollten.
Verschwiegen werden soll natürlich nicht, dass es neben einer Vinyl-Ausgabe noch eine Super Deluxe Edition des Ganzen gibt, die u.a. drei weitere CDs sowie eine Blu-ray umfasst. Dem Rezensenten liegt diese Box zwar nicht vor, dafür in digitaler Form 50 Alternative-Takes und -Versionen sowie Probeaufnahmen aus dieser, eine doch recht umfangreiche Dokumentation der Sessions, in der es so manches Juwel zu entdecken gibt, wie z.B. die ausgedehnte, recht psychedelisch anmutende Alternativversion von “Helter Skelter”.
Wie soll man das Ganze jetzt bewerten? “Keine Wertung” liegt bei einem Klassiker natürlich nahe. Aber ein Album, das einen seit mehr als 45 Jahren begleitet, das vielleicht eines der besten aller Zeiten darstellt? Das nicht perfekt ist, aber eine grandiose Mischung aus verschiedensten Stilelementen bietet, mit so vielen unsterblichen Songs, dazu eine einzigartige Dokumentation der künstlerischen Entwicklung einer Band, wie es sie nie wieder gegeben hat, darstellt? Dazu frisch aufpoliert und mit den wirklich umwerfenden Esher-Tapes garniert? Da gibt es seitens des Rezensenten schlussendlich doch nur eine Möglichkeit:
Bewertung: 15/15 Punkten (WE 13, GH 15)
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Wikipedia The Beatles