»In The Court of the Crimson Light Castle«
Es fühlte sich fast wie ein klassisches Konzert an, zum Beispiel Le Sacre du printemps in der Kölner Philharmonie. Nicht, weil der schnieke in Hemd und Weste gewandete Maestro Fripp es Francesco Zappa am Taktstock gleichtun würde (Don Roberto dirigiert sein Ensemble unauffälliger, aber kaum weniger effizient aus der hintersten Reihe). Und auch nicht, weil die Lichtburg so ein wunderschöner Musentempel ist. Was sie ja nun wirklich ist. Dennoch nein – für das “klassische” E-Musik-Gefühl ließen sich beim bisherigen Konzert des Jahres andere Gründe ausmachen…
Als da wären:
1. Keine Selbstdarsteller und Trophäenjäger, die die Einzigartigkeit ihres Seins dokumentieren, indem sie für jedes Solo oder jeden Hit oder gar für die ganze Show ihr filmendes Smartphone oder Tablet anderen vor die Nase halten! Keiner. Nicht eine/r! Die üppig plakatierte Drohung, bei Verstößen des Saales verwiesen zu werden, die diesbezüglichen Ansagen auf deutsch und englisch sowie nicht zuletzt die im Innenraum sehr präsenten Platzanweiser haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Das war einerseits ganz herrlich! Andererseits führte das absolute Kameraverbot auch dazu, dass es diesmal keinen Foto(s)pass, keinen akkreditierten Fotobetreuer gab – und es also auch keine optischen Einfühlungshilfen für die Leser gibt.
2. Keine Lightshow! Gut, also das prächtige alte Lichtspieltheater mit dem “größten Kinosaal Deutschlands” war zwar tadellos und ästhetisch ausgeleuchtet. Doch bei den eingänglich dafür gewählten Einstellungen blieb es dann einfach. Das funktionierte überraschend gut, weil es mehr Aufmerksamkeit für die Musik übrig ließ.
3. Das ganze Konzert über (bequem) sitzen! Mit exzellenten Sicht- und mit einem Abstrich ausgezeichnetem Soundverhältnissen – einem durchsetzungstarken, aber nie zu lauten Klang. Auf das weiche Fauteuil hätte Endesunterzeichneter gerne verzichtet. Die akustischen Zustände hingegen waren eine selten erlebte Wohltat, ein sinnlicher Genuss!
4. Für die älteren Herrschaften auf und vor der Bühne ist nach einer guten Stunde ein Päuschen angezeigt. Das erfreut die Prostata genauso wie die Marketender, die Erfrischungen, Musikalien und Gewandung im Foyer feilbieten.
Uncertain Time(Signature)s
Doch ja, gerockt wurde auch. Dabei war die Setlist eine andere als die vom Vortagskonzert in diesem Kino – und für den Berichterstatter war sie einfach perfekt. So wurde das unverzichtbare Frühwerk extensiv gewürdigt, aber auch ‘Islands’, ‘Lizards’, viel “Radical Action” und zum Finale eine überirdisch schöne Version von ‘Starless’ fehlten nicht.
Andere (weiter vorne im Saal abgebildeten) Konzertgänger monierten, dass Gesang und Saxophon gerade eingangs etwas im Mix untergegangen seien. Der diensthabende Schmierfink saß direkt neben dem Mixer und hatte wie gesagt diesmal überhaupt gar nichts zu meckern.
Die vielleicht schönste Erfahrung war, wie überraschend gut es der aktuellen KC-Permutation gelingt, steinaltes wie brandneues Material wie aus einem Guss klingen zu lassen – sodass weniger erfahrene Crimsonisten (es war auch vereinzelt junges Weibsvolk zugegen!) es schwer gehabt haben dürften, Songs einzelnen “Epochen” zuzuordnen. Zu diesem einheitlichen Guss gehört zum einen der m.E. immer besser werdende Gesang von Jakko M. Jakszyk, der in seiner jetzigen Form mühelos von Greg Lake (R.I.P.), John Wetton (R.I.P.), aber auch Adrian Belew geprägtem Material Gerechtigkeit widerfahren lässt. Zu diesem Zuckerguss gehört aber auch, was sich am vorderen Bühnenrand abspielte. Andere Bands mögen drei Gitarristen haben – PAH! Am Hofe des Karmesin-Königs erbauen drei Trommler den Monarchen. Gleichzeitig.
Da Pat Mastelotto, Gavin Harrison, und Jeremy Stacey (u.a. Chris Squire, Mark Wingfield, Echo & the Bunnymen, The Waterboys, Eurythmics, Sheryl Crow u.v.m.) hochgradig individuelle Künstler und Meister ihres Fachs sind, spielen sie überwiegend völlig eigenständige Figuren – irrsinnigerweise ohne sich dabei je rhythmisch oder klanglich in die Quere zu kommen (Stacey spielt tatsächlich streckenweise sogar mehr mit Tasten als mit Sticks). Wenn das Trio infernale aber mal ganz bewusst synchron spielt, dann wirkt das immer ein wenig wie männliche Synchronschwimmer – also ganz großartig.
Zu den gänsehautaufstellenden Frippertronics vom Boss braucht man wohl nicht mehr viel zu sagen – und auch Tony Levins bärenhaftes Wirken an Bass und in abgrundtiefe Frequenzen reichendem Stick ist hierorts schon oft genug gepriesen worden.
Keyboarder Bill Rieflin (u.a. Ministry, Nine Inch Nails) sah sich ein wenig der Konkurrenz des ebenfalls Tastaturen bedienenden Fripp sowie Stacey ausgesetzt – ohne sich dies anmerken zu lassen oder sonstwie aufzufallen. Ein besonderes Highlight bot hingegen die Rückkehr von Mel Collins an den Königshof. Das Material der ersten beiden Alben überlebt nahezu jede Um-Orchestrierung. Aber unter seinem Saxophon- und Querflöten-Spiel blüht es regelrecht auf.
PS: Nach der Erleuchtung von Essen werden King Crimson im Juli noch den Admiralspalast Berlin und die Philharmonie im Gasteig München bespielen. Auch in Amsterdam und Paris kann man sich dieses exquisite Vergnügen noch geben. Sollte man sogar. Denn für die traurige Post-Brexit-Zeit haben KC bereits angekündigt, kontinentale Touren einschränken oder gar ganz unterlassen zu wollen. Uncertain Times!
Surftipps zu King Crimson:
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Setlist vom 21.06.
Setlist vom 20.06.
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