H E X über Einflüsse und etwas für Filme-Liebhaber

H E X (Foto: Mehdi Benkler)

»Die Idee war, eine Richtung einzuschlagen und etwas Kaltes, Mechanisches, Rohes und Schmutziges zu entwickeln«

Nach der Veröffentlichung ihres selbstbetitelten Debütalbums – einer fantastischen Fusion aus Avantgarde, Post-Rock und Industrial – hat uns die Neugier gepackt und dazu verleitet, mehr über die Schweizer Band zu erfahren. Auf diesem Wege ist ein schönes Gespräch entstanden, in dem sich das Quintett, bestehend aus Vincent Hänggi, Laure Betris, Nico Todeschini, Alex Muller Ramirez und Vincent Devaud, vorstellt. Immerhin werden sie wohl so schnell nicht von der Bildfläche verschwinden.

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Sind Genf und La Chaux-de-Fonds eure musikalischen Zentren, die auch inspirieren, und gibt es dort auch kreative “Szenen”, in denen ihr unterwegs seid? Und wie unterscheiden sich diese von anderen (beispielsweise Frankreich oder Deutschland)?

H E X (Foto: Frank Bongni)

Vincent Hänggi: Die Band hat ihren Sitz in Genf, aber wir leben in drei verschiedenen Städten (Genf, Lausanne und Fribourg). Ich kann nicht sagen, ob diese Orte wirklich einen Einfluss auf unseren kreativen Prozess hatten. Die Songs auf diesem Album wurden Schritt für Schritt komponiert und arrangiert, hauptsächlich basierend auf Rhythmus und minimalistischen Melodien, die ich vorgeschlagen habe. Nach und nach nahmen die Songs eine andere Dimension an,  zusammen mit allen Ideen, die im Laufe der Zeit integriert wurden. Es hat so gut funktioniert, weil wir jahrelang in verschiedenen gemeinsamen Projekten gespielt haben und uns so besser kennen lernen konnten. Das hat zu einer guten Arbeitsweise beigetragen. Ich persönlich bin jedes Mal zuversichtlich, wenn ich etwas vorschlage. Trotz der langen Zeit, die wir für die Veröffentlichung des ersten Albums gebraucht haben, mussten wir nicht viele Kompromisse eingehen. Wir sind die meiste Zeit auf derselben Ebene und die Inspiration kommt auf eine natürliche Art und Weise. Wir alle spielen in verschiedenen Bands und hören eine Menge Musik, die nichts mit HEX zu tun hat; es scheint mir, als würde es vielen Musikern ähnlich gehen. Ich kann kaum etwas zu den französischen oder deutschen Szenen sagen, aber ich habe den Eindruck, dass sich immer weniger Menschen nur noch mit einem bestimmten Stil befassen – was ich sehr positiv finde.

Vincent Hänggi hat das Aufnehmen und Mischen übernommen. Wie nervenaufreibend war der Prozess?

Vincent Hänggi: Um ehrlich zu sein: Es war der reinste Albtraum und ich habe immer noch meine Schwierigkeiten damit, mir das Album anzuhören. Ich habe mit HEX begonnen, als ich gerade im Aufnahme- und Mixing-Job eingestiegen bin. Es war ein langwieriger Prozess geprägt von Herumprobieren und Fehlern, von denen ich viel gelernt habe und der uns auch geholfen hat, die Ästhetik zu entwickeln, nach der wir gesucht haben. Das Schwierigste daran war, manches einfach zu akzeptieren und den Aufnahmeprozess nicht immer wieder neu zu starten. Das passt auch gut zu der Tatsache, dass die Produktionsarbeit vor Jahren mit dem Wissen begann, das ich damals hatte, und natürlich der Mangel an Objektivität, den man hat, wenn man so viel Zeit mit einem Projekt verbringt. Zum Glück waren die Anderen an meiner Seite, um alles zu vervollständigen. Sonst wäre ich immer noch dabei! Und übrigens, danke für das Kompliment.

Zwischen eurer Gründung 2011 und eurem Debütalbum ist einige Zeit vergangen. In der Zwischenzeit habt ihr aber viel an euren Songs gefeilt. Wie habt ihr euren überaus modernen und industriellen Sound entwickelt?

Vincent Hänggi: Die industrielle Richtung des HEX-Sounds kam allmählich und ganz natürlich. Nach einer ersten Aufnahmesession haben wir die Noise-Rock-Richtung der Band sowohl instrumental als auch produktionstechnisch in Frage gestellt. Wir wollten etwas anderes als unsere anderen Bands. Die Idee war, eine Richtung einzuschlagen und etwas kaltes, mechanisches, rohes und schmutziges zu formen, das wir auf den Demos hatten und das man bei einigen Industrial- oder Post-Punk-Bands hören kann. Persönlich bevorzuge ich Produktionen von Projekten wie Haus Arafna oder Jpegmafia vor den sehr sauberen und virilen Sounds von NIN oder Rammstein, mit denen wir bereits verglichen wurden. Der Sound von HEX ist relativ klassisch. Wir spielen auf altem Equipment, wir lieben Röhrenverstärker und Vintage-Drums. Elektronik und “moderne” Techniken fügen einen kalten und synthetischen Aspekt hinzu, aber wir suchen definitiv keinen sauberen und glatten Sound. Es ist ein in etwa so als hätte Phil Spector eine Industrial-Band produziert.

Laures Vocals verleihen dem Album eine transzendent-verträumte Note, die sich dem Gefüge gut anpasst. Habt ihr lange überlegt, ob, und wie ihr am Besten die Vocals hinzufügt? Viele Shoegaze-Bands gehen da ja ähnlich vor und belassen es bei verschwommenen Gesang, der meistens so verhallt ist, dass man sich nicht sicher ist, ob es sich dabei um Instrumente handelt.

Vincent Hänggi: Nachdem unser Freund und Sänger Adriano Perlini die Band verlassen hat, haben wir die Idee, Vocals hinzuzufügen, für eine Weile beiseite gelegt. Dann haben wir Marion von der Band Mütterlein gefragt, ob sie sich versuchen möchte, aber nach einigen Proben war sie nicht zufrieden mit dem Ergebnis und lehnte ab. Im Jahre 2016 habe ich angefangen bei Kassette zu spielen, Laures’ Projekt. Einmal während eines Soundchecks sang sie orientalische Harmonien – das war der ausschlaggebende Moment ihres Beitritts. Ihre überaus klaren und weichen Klangfarben passen sich perfekt unserer Musik an. Die Verarbeitung der Vocals ist der Shoegaze-Musik in der Tat sehr ähnlich. Es geht nicht in erster Linie um den Gesang und um die Stimme, sondern eher darum, die Stimme wie ein Instrument zu behandeln.

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Laure, herzlichen Glückwunsch zum Schweizer Musikpreis 2018! Du hast schon früh damit angefangen, Musik zu machen und bist vor allem für Kassette bekannt. Wie kam es, dass du bei H E X dazu gestoßen bist?

Laure Betris: Danke! Das war eine große, und sehr nette Überraschung … Und das stimmt, ich habe als Teenager in einer Grunge-all-Girls Band angefangen. Ein paar Jahre später begann ich Platten und Konzerte unter dem Namen Kassette zu machen. Heute spiele ich mit verschiedenen Bands und Projekten, Musik ist also der größte Teil meines Lebens. Zu meinem Beitritt zu HEX, kurz gesagt: Ich habe sie live gesehen und es hat mir sehr gut gefallen. Ich war auf der Suche nach einem Drummer, der 2015 mit dem neuen Kassette-Album auf Tour gehen sollte. Also fragte ich Vincent, ob er mit uns spielen wolle und er sagte zu. Kurz drauf haben HEX einen Sänger gesucht, also haben wir es versucht und, naja, es hat funktioniert! 2016 bin ich dann ein Teil der Band geworden. Der Aufnahmeprozess war zu dem Zeitpunkt fast abgeschlossen und es war sehr interessant, die letzte “Schicht” (den Gesang) den Songs hinzuzufügen.

Eine Frage muss natürlich sein: Warum eigentlich HEX?

Vincent Hänggi: Ehrlich gesagt, wir hatten kurz vor unserem ersten Konzert 2012  keine Zeit mehr dazu, einen Namen zu finden. Eines der Kriterien war ein kurzer Name. HEX war auf der Liste.

H E X (Foto: Oliver Lovey)

»Wir sind eine Band, die man um Mitternacht in absoluter Dunkelheit erleben muss.«

Vincent Devaud arbeitet als Grafikdesigner in Genf und unterrichtet das auch, richtig? Bist du auch derjenige, der eure visuelle Richtung quasi vorgibt? Euer Stil hat schon etwas futuristisches, SF-mäßiges an sich – was natürlich super zur Musik passt!

Vincent Hänggi: Ja, wir haben tatsächlich zwei sehr talentierte Grafikdesigner in der Band. Vincent, der bei Gavillet & Cie in Genf arbeitet und in La Chaux-de-Fonds unterrichtet und Nicola Todeschini, der sein eigenes Studio in Genf betreibt. Das Artwork basiert auf Videoaufnahmen verschiedener Bestandteile, die wir auch für unsere Live-Performances und Video-Teaser verwenden. Das gesamte Kunstwerk wurde von Vincent und Nicola gemacht.

Nico TodeschiniVincent Hänggi hat Hunderte von Standbildern aus einem neuen Video, an dem er arbeitete, erstellt. Zu unserer Überraschung enthüllten einige von ihnen etwas mehr als nur einfache grafische Formen: Plötzlich tauchte eine seltsame, städtische Umgebung auf, mit ihren Gebäuden, Straßen, Brücken… Eine Art kalte, algorithmische Landschaft. Wir haben eine Reihe dieser Bilder verwendet, um dem Ganzen einen narrativen Aspekt hinzuzufügen und um den Betrachter sozusagen in diese künstliche und zeitlose Stadt eintauchen zu lassen. Diese Bilder haben wir dann mit einem grobkörnigen Schwarz-Weiß-Kontrast bearbeitet und somit ein analoges und low-tech Gefühl zu erzeugen, das zur klanglichen Ästhetik passt.

Man merkt eurem Album an, dass ihr euch mit Filmmusik beschäftigt. Was sind da eure Einflüsse?

Vincent Hänggi: Filmmusik ist tatsächlich sehr präsent im HEX-Sound, sowie in unseren früheren Projekten wie Shora, Equus oder Shelving. John Carpenter und Alan Howarth inspirieren uns sehr, ebenso wie italienische Film-Soundtracks der 60er und 70er Jahre von Komponisten wie Ennio Morricone, Fabio Frizzi, Goblin oder Franzosen wie François de Roubaix oder Alain Goraguer. Wir könnten auch einige zeitgenössische Sound-Künstler wie Cliff Martinez oder Disasterpiece erwähnen. Für dieses Album wollten wir lange Tracks ausarbeiten, die sich ähnlich wie progressive und repetitive Musik entwickeln. Allerdings hatten wir nicht das Ziel, den Soundtrack eines imaginären Films zu kreieren. Neben Filmmusik hat jeder von uns seinen eigenen Geschmack, der auch gut zum Gesamtbild passt. Dennoch teilen wir definitiv eine gemeinsame Begeisterung für Künstler wie This Heat, Univers Zero, Glenn Branca, Dead Can Dance oder Extra Life und viele andere. Wir hören aber sonst wirklich sehr unterschiedliche Dinge, von komplexeren Sachen bis hin zu schlichtem Pop.

Auf dem Paleo Festival (17.-22.07.18) spielt ihr unter anderem mit Depeche Mode. Sind für dieses Jahr noch weitere Auftritte geplant?

Vincent Hänggi: Einige Gigs sind für diesen Herbst in der Schweiz geplant und wir arbeiten an einer Tour, die zwischen Oktober und November stattfinden soll.

Mit Spacemen 3 habt ihr ja auch mal gespielt, wann war das? Spacemen 3 gehören definitiv zu meinen Favoriten!

Nico Todeschini: Wir wünschten, wir hätten mit Spacemen 3 gespielt! In unserer Biographie gibt es ein kleines Wirrwarr: Tatsächlich haben wir mit Sonic Boom‘s anderem Projekt, Spectrum, gespielt, das wir aber definitiv genauso gern haben.

Vincent Hänggi: Wir haben uns auf einem großen Festival die Bühne mit Spectrum geteilt. Aber der Veranstalter dachte, es sei eine gute Idee, uns um 18 Uhr spielen zu lassen, um das Publikum aufzuwecken. Nun ehrlich, ich denke nicht, dass die Spectrum-Leute besonders beeindruckt waren, als wir vor 40 Leuten, die auf dem Boden saßen, im hellen Sonnenschein spielten… Wir sind eine Band, die man um Mitternacht in absoluter Dunkelheit, erleben muss.

So, es gibt noch eine T-Shirt-Verlosung hier auf Betreutes Proggen. Zu gewinnen gibt es 2x ein HEX-Shirt, aber dafür müssen die Teilnehmer auch etwas tun. Habt ihr Lust darauf, unsere Leser herauszufordern und bei der Gewinn-Frage zu helfen? Vielleicht thematisch etwas für Musik- und Filmnerds.

Who did the perfect soundtrack to make love on a real train?

Sehr schön, das ist eine schwierige Frage. Macht weiter so und vielen Dank für das ausführliche Gespräch! Hier geht es weiter zum Gewinnspiel.

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