6. Artrock Festival 06.-08.04.18 in Reichenbach
Während wir eigentlich noch die Eindrücke vom unvergesslichen Progdreams-Festival in der Boerderij verdauten, warf schon das nächste große Highlight für die eingefleischten Prog-Musikfans seinen Schatten voraus. Alle Jahre wieder organisiert der unermüdliche positiv Musikverrückte Uwe Treitinger in seiner sächsischen Heimatstadt Reichenbach ein Event, das sich mit den besseren Veranstaltungen dieser Art messen lassen kann. Mit insgesamt 18 Bands, Duos und Solisten bedeutete das für jeden Teilnehmer eine große Portion Stehvermögen, die wichtigste Voraussetzung für ein schadloses Überstehen dieser drei tollen Tage.
Gut gelaunt und voller Erwartung machten sich die Betreuten Progger auf in den Osten des Landes. Für den einen oder anderen unter uns war dieses die erste Begegnung mit Land und Leuten. Umso mehr war die Erwartungshaltung auf einem entsprechend positiven Niveau. Für beste Randbedingungen sorgte nicht nur das sonnige Frühlingswetter, stets war auch für die feste und flüssige Nahrungsaufnahme bestens gesorgt. Natürlich wurde auch die Kulturgeschichte der Umgebung mit einem Besuch der imposanten Göltzschtalbrücke entsprechend gewürdigt. Bei all den Genüssen durfte allerdings der eigentliche Grund der Reise nicht in Vergessenheit geraten, da war doch noch etwas? Ja, unsere viel geliebte Musik. Die aus ganz Europa, Amerika und Israel zum sechsten Artrock Festival im Neuberinhaus angereisten Fans bildeten den geeigneten Rahmen für den Einstieg in drei musikalische Powertage.
Gleich am Freitagnachmittag startete mit der italienisch-deutschen Formation Asgard der Festival-Marathon. Die nach dem Sitz der Götter in der nordischen Mythologie benannten Opener boten melodischen, metallastigen Prog mit klassischer und mittelalterlicher Prägung. Für die visuellen Effekte sorgten Fackeln und Masken. Zu Beginn eines Festival die passende Dynamik, um die alten Progger auf entsprechende Betriebstemperatur zu bringen.
Anschließend folgte die Berliner Formation Crystal Palace mit ihrem druckvollen Progressiv Rock. So nutzten sie die Gelegenheit, ihren neuen Silberling „Scattered Shards“ vorzustellen. Der Wechsel von teils atmosphärischen und teils harten Gitarrenparts fand sichtbar seine Fans.
Bekannt durch seine Zeit bei King Crimson betrat anschließend David Cross und seine Band gemeinsam mit dem ehemaligen Van der Graaf Generator Saxophonisten David Jackson die Bühne. In der exzellenten Show überzeugten die Musiker u.a. mit den King Crimson Klassikern wie ‘Starless’ und ’21st Century Schizoid Man’. Ein Erlebnis, wer die Künstler bislang noch nicht live sehen konnte, auch wenn die Kost nicht immer ganz leicht verdaulich war.
Von vielen mit großer Erwartung begrüßt, folgte als Headliner des Tages Dana Fuchs. Den meisten dürfte sie durch den Musik-Film “Across The Universe” bekannt gewesen sein. Vermutlich traf sie mit ihrer Mischung aus Blues, Rock, Pop und Country so manchen nicht gerade mitten ins Progherz. Dennoch wusste die Vollblutmusikerin ihre tolle Stimme und Ausstrahlung gut in Szene zu setzen. Damit ging ein abwechslungsreicher erster Abend zu Ende. Dennoch bot sich zwischendrin genügend Zeit, um mit alten Freuden und Bekannten Wiedersehen zu feiern sowie die Gelegenheit zum ausschweifenden Gedankenaustausch.
Tag 2
Bereits am Samstagmittag begann der mit gut zwölf Stunden Programm vollgepackte, längste Festivaltag. Kein Geringerer als Yogi Lang (RPWL) übernahm es, den Festivaltag zu moderieren.
Die Italiener Ubi Maior hatten die nicht ganz leichte Aufgabe, die teils noch müden Festivalbesucher aufzuwecken. Mit einer Kombination aus italienischem Symphonic Prog und Hard Rock gelang dieses weitestgehend. Besonders die Gitarristin und der etwas übereifrige Frontmann (Vocals und Violine) dürften in Erinnerung bleiben.
Besonderes Schmankerl an diesem Tag war in den Umbaupausen der Akustikauftritt des Bandkollegen von Yogi Lang, der Gitarrist, Produzent und Komponist Kalle Wallner (u.a. Blind Ego, RPWL) mit einigen Mitstreitern.
Das nächste Highlight – wie sich herausstellte, ein absolut vollwertiger Ersatz für die ursprünglich angesetzten Anima Mundi oder auch The Barock Project – präsentierte der Veranstalter mit dem Duo Adam Wakeman – Damian Wilson. Adam (Sohn des Yes Urgesteins und Keyboarders Rick Wakeman) am Flügel und Damian (u.a. langjähriger Sänger bei Threshold), zuweilen an der Gitarre, boten einen einfühlsamen und sehr unterhaltsamen Auftritt. Damian offenbarte sich dabei als hervorragender Entertainer, der geschickt das Publikum begeistern und beteiligen konnte. Dass er über eine der besten Rockstimmen der Szene verfügt, muss hier ja kaum erwähnt werden. Sportlicher Höhepunkt war dann auch der angekündigte Stage-Dive Damiens. Nicht unbedingt erwartet, aber ganz bestimmt ein unvergesslicher Moment, diese beiden auf der Bühne erleben zu dürfen.
Wenn man von Urgesteinen spricht, so sollten selbstverständlich die aus alten DDR-Zeiten stammende Band Lift nicht unerwähnt bleiben, die anschließend begeistert empfangen wurde. Viele Erinnerungen an alte Zeiten wurden da geweckt, trotz so mancher Umbesetzung, die die Formation während der Jahre durchmachen musste. Mit ‘Nach Süden’, ‘Tagesreise’ und ‘Meeresfahrt’ fehlten natürlich nicht die in deutsch gesungenen Klassiker der Band, ohne dass der Eindruck entstanden wäre, dass Jahrzehnte zwischen Erscheinen und heutiger Darbietung liegen würden.
Ebenfalls schon länger auf der musikalischen Progbühne die polnische Band Collage. Die Polen passten nach den zuvor sanfteren Tönen gut in das laufende Programm. Stilistisch sind die Musiker im melodiösen Neoprog verankert, da fallen einem spontan IQ oder Marillion ein. Trotz des Ausstiegs des langjährigen Gitarristen Mirosław Gil und dem Einstieg des ehemaligen Quidam Mitstreiter Bartosz Kossowicz, verspürte man keinen Bruch. Alles war aus einem Guss und insgesamt ein ganz gelungener Auftritt.
Musikalisch nicht weit von den Polen entfernt, folgten die Briten IO Earth. Ein eher etwas enttäuschender Gig, da unerwartet soundtechnisch nicht ganz perfekt.
Darauf folgte, für die meisten Anwesenden, der nächste langersehnte Höhepunkt. Mit den Franzosen Lazuli gab es wie bei so vielen Festivals den Garant für gute Laune und dazu eine perfekte Performance. Aus diesem Grund bedarf es keiner großen Worte, die Jungs wissen zu gefallen und zu überzeugen, was die Begeisterung des Publikums am Ende auch bestätigte, zumal die obligatorische Marimba-Zugabe natürlich nicht fehlte.
Den langen Festivaltag beendete eine bereits seit vielen Jahren bekannte und prägende britische Band. Mostly Autumn präsentierten einige ihrer vielen Hymnen aus überwiegend länger zurückliegenden Alben. Die Darbietung der Musik perfekt, sowohl vom Sound als auch in der Umsetzung. Einzig die Spannung fehlte vielleicht ein wenig, um noch am späten Abend die volle Aufmerksamkeit der Band entgegen zu bringen. Aber wenn wundert das nach so einem langen Tag mit Dauerbeschallung.
Tag 3
Mit dem sehr sympathischen Duo Melanie Mau und Martin Schnella (unterstützt durch einen Perkussionisten) eröffnete das Festival den dritten und letzten Tag. Dass es nicht immer einer großen Besetzung bedarf, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen, zeigten die beiden Hauptakteure eindrucksvoll. Martin, seit gut fünf Jahren Gitarrist bei Seven Steps To the Green Door, beherrscht sein Instrument auch bei leisen Tönen. Über den wohltuenden Gesang von Melanie braucht man nicht zu diskutieren. Insgesamt ein begrüßenswerter, bunter Tupfer im Festival – Rockgetümmel.
Weiter ging es mit der deutschen Band Toxic Smile. Für die Formation unter der Leitung von Marek Arnold war es das letzte gemeinsame Konzert in Reichenbach. Für alle Freunde der Progressive-Metal-Band natürlich keine gute Nachricht, auch wenn Mastermind Marek Arnolds weitere Projekte wie z.B. Seven Steps To The Green Door weiter machen.
Mit den Briten Jadis wurde dann die nächste Größe des Progressive Rocks angekündigt. Begeisterung löste die Anwesenheit von Gary Chandler und Keyboarder Martin Orford aus, schließlich gab es die seltene Gelegenheit, die Band in dieser Besetzung auf dem Kontinent zu erleben. Martin Orford hatte sich für einige Jahre aus dem Business zurückgezogen und erst vor nicht allzu langer Zeit wieder aktiv zurückgemeldet. Freunde von IQ oder Pendragon konnten an dem Gig Gefallen finden, wenn auch die Erwartungshaltung nicht ganz erfüllt wurde.
Weiter ging es dann mit Siena Root auf eine Reise zurück in die Vergangenheit. Alter Schwede – wer die Band im Vorfeld nicht bereits kannte, sollte nun in Staunen versetzt werden! Was die Skandinavier einschließlich ihrer jungen und hervorragenden Sängerin hier ablieferten, war schon allererste Sahne. Rockmusik der späten 60er und 70er Jahre basierend auf mächtigen Hammond-Orgel-Klängen, heulenden Gitarren, Bassriffs und großen Drums. Dazu bei diesem Live Auftritt die gekonnten bluesigen Soul-Vocals der Gastsängerin. Fazit: ein unbestreitbares musikalisches Highlight des Festivals. Allerdings war die Sound-Abmischung ausbaufähig, da sowohl die Sängerin als auch die Hammond zu sehr in den Hintergrund gerieten. Nichtsdestotrotz, die Band lieferte eine umwerfende Performance.
Als nächstes folgten die kraftvoll, progressive kanadische Band Huis um den sehr sympathischen Gitarristen Michel St-Père. Leider kann ich zu deren sicherlich gelungenen Auftritt nichts beitragen, da sich gerade zu diesem Zeitpunkt der kleine Hunger meldete. So ein Event fordert halt auch einmal Opfer. Da ich die Band bereits 2017 beim Progdreams Festival in den Niederlanden erleben durfte, stellt sich nicht die Frage, welche Power die Jungs auf die Bühne gebracht haben.
Nach all den vielen Musikperlen hatte es der letzte und abschließende Act mit Ken Hensley (Urvater und Keyboarder von Uriah Heep) & die Begleitband Live Fire nicht leicht, ebenso die verdiente Aufmerksamkeit zu erhalten. Nach gut drei Tagen Dauerberieselung fiel es sichtbar schwer, dem Auftritt mit gebührendem Respekt zu folgen, wobei alleine die Anwesenheit und die Tastenarbeit des 72-jährigen Ken für sich ein Erlebnis waren. Seine drei musikalischen Begleiter unterstützten den Großmeister der Hammond-Orgel äußerst professionell und ließen die dargebotenen älteren Uriah Heep Stücke von ‘Stealin’ bis hin zum Schlußtrack ‘Gypsy’ in kraft- und gefühlvollem Glanz erscheinen. Vor allem der italienische Bassist Roberto Tiranti überzeugte mit seinem Leadgesang mit tonalen Ähnlichkeiten zwischen David Byron und Glenn Hughes vollkommen. Nach einer Stunde Abschluss-Performance mit etwas erhöhter Phonzahl war das gelungene Festival im Vogtland beendet.
Insgesamt war es sehr beeindruckend, was da vom Organisator Uwe Treitinger und seinen zahlreichen Helfern auf die Beine gestellt wurde. Dem gebührt großer Respekt und Dank, zumal bekannt ist, was es bedeutet, ein solches großes Festival mit kleinem Budget und ohne große Unterstützung von außen am Leben zu erhalten. In diesem Zusammenhang sei noch der von einigen sehr ambitionierten Fans zusammengestellte Kuchenbasar, die im Foyer organisierte Ausstellung mit sehr schönen Fotos von Bodo Kubatzki und Andreas Tittmann erwähnt. Auch die CD – und Vinyl Sammler kamen mit ihrer Leidenschaft bestimmt nicht zu kurz. Bleibt noch festzuhalten, dass selbstverständlich auch für das leibliche Wohl allzeit bestens gesorgt war.
Trotz allen Lobes sollten abschließend zwei Dinge nicht unerwähnt bleiben. Da waren einmal die von vielen Fans kritisierten hohen Getränkepreise für das kühle Blonde. Dafür gab es nur wenig Verständnis, wobei es ja jeder buchstäblich selbst in der Hand hatte, darauf entsprechend zu reagieren. Anders sah es aus mit der zur Schaustellung eines Besuchers mit auf seiner Jacke angebrachten Nazisymbolen. Diese will keiner in unserer Runde sehen, geschweige öffentlich publik gemacht wissen. Hier hätte in jedem Fall das Aufsichtspersonal reagieren müssen, was leider nicht geschehen ist – aus welchem Grund auch immer.
Wenn wie von Uwe Treitinger geplant alles glatt läuft, bietet das nächste Festival (12.-14.04.2019, angekündigt: AnTon, Credo, Franck Carducci, IQ, Melli Mau & Martin Schnella, Mystery, Polis, Red Sand, RPWL, SSTTGD, Silhouette, Sylvan; die Schlussred.) hoffentlich auch die Möglichkeit, auf solche Dinge mehr einzugehen und sie zu unterbinden. Zumindest musikalisch plant er schon mit Volldampf und will auch im nächsten Jahr seine Fans mit guter Musik begeistern. Und daher planen wir schon jetzt eine weitere Reise in das schöne Sachsen.
Live-Fotos: Timo Riedel