For All We Know, Mother of Millions, 17.03.18, Zoetermeer (NL), Boerderij

(D)Ef(f)ektvoll

For All We Know - Zoetermeer, Boerderij, 17.03.18 (Tobias Berk)

Eines der wenigen Einzelkonzerte, für das wir gerne mal 300 Kilometer hin und das Gleiche zurück gefahren sind. In Summe war es das auch wert! Musikalisch ein Traum – wenn auch mit drei kleinen Einschränkungen. Doch von denen unten mehr…

Warum überhaupt erwägen, so weit anzureisen? Zunächst einmal, weil das Studioprojekt For All We Know (FAWK) vor dieser Mini-Tour noch nie live aufgetreten ist. Und es auch nicht völlig klar ist, ob sie das so bald oder je wieder tun werden. Und natürlich weil das 2017er Album (wie auch schon sein phantastischer Vorgänger) von 2011 reinstes Bestenlisten-Futter darstellt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Boerderij eigentlich immer eine Reise wert ist – neben dem Spirit of 66 der wohl wichtigste und dafür auch schon mehrfach preisgekrönte Prog-Tempel des europäischen Festlands!

Daher investierten wir also gerne in Hotelsuche- und buchung, die Anfahrt nach Zoetermeer und den Marsch vom etwas unchilligen, da reizarmen Hotel bei Minustemperaturen und scharfem Wind, was den Chill-Factor noch erheblich verstärkte. Zähneklappernd vor Ort eingetroffen, waren wir nahezu die ersten in einer noch sehr übersichtlichen Schlange von Menschen, die gleich nach dem gottseidank zügig erfolgendem Einlass feststellen durften, dass der hausinterne Koffie Shop zwar geöffnet hatte, nicht aber die Küche des “Bauernhofs” (das bedeutet Boerderij auf Niederländisch). Beziehungsweise nicht für die Konzertgäste. Bandmitglieder wurden (natürlich) sehr wohl bekocht. Kein einhundertprozentig ideales Arrangement, vor allem, wenn Essen gut sicht- und riechbar durch die Gegend getragen wird man selbst schon den ganzen Tag unterwegs ist. Aber kein Riesendrama. Und auch noch keine der besagten Einschränkungen bzw. Kritikpunkte.

Auch die Auswahl der Vorgruppe gab keinen Anlass zur Kritik: Die Griechen Mother Of Millions waren erstmals in den Niederlanden auf Tour. Ihr noch aktuelles zweites Opus “Sigma” (2017) war nicht nur, aber auch bei uns gut weg gekommen – eine interessante Wahl also.

Musikalisch wurde das positive Vorurteil auch durchaus eingelöst. Das Stage Acting der Band aber, insbesondere das von Sänger George Prokopiou, wirkte zunächst verwirrend und irgendwann sogar unfreiwillig komisch. Die achtbar klingenden ProgMetal-Stücke wurden mit einem Gestus über die Rampe gebracht, als würden wir mindestens mal die Ausschüttung des Heiligen Geistes miterleben dürfen. Gegen die (teils minutenlang gehaltene) Jesus-Am-Kreuz-Posen, gegen dieses hohepriesterliche Segnungs-Gebaren wirken selbst Bombast-Bomber wie Saviour Machine wie eine räudige Street Punk-Band. Schade. Soweit unsere Einschränkung Nr. 1.

Ansonsten aber haben wir den halbstündigen Auftritt wie gesagt als durchaus sehr angenehme und auch passende Einstimmung für den Höhepunkt des Abends empfunden.

Setlist MoM:
Shine
Silence
Rome
Their Passsage, The Light
Collision
Spiral

Der Kritikpunkt Nr. 2 erwies sich relativ bald nach der Umbaupause und den ersten Tönen der (bedauerlicherweise noch weitgehend unbekannten) “Supergroup”: FAWK hatten leider nennenswerte Soundprobleme. Und zwar zumindest teilweise so gravierende, dass sie auch im Laufe des Konzertes nicht ganz weggeregelt werden konnten. Was die Frage aufwirft, inwieweit einige dieser Effekte vielleicht sogar erwünscht waren:

A) FAWK ist das Projekt des Within Temptation-Gitarristen Ruud Jolie. Der sympathische, bescheiden lächelnde Axeman am äußerst rechten Bühnenrand war also eine der Hauptfiguren des Abends. Zu hören war sein Spiel über weite Strecken allerdings kaum. Dass es ein wenig besser wurde, wenn man sich selbst ganz nach vorne rechts begab, könnte daran liegen, dass ein extremes Stereo-Setting gewählt wurde, bei dem Ruuds Amp fast ausschließlich über den rechten PA-Kanal verstärkt wurde. Oder daran, dass wir am Bühnenrand mehr von seinem Monitor hören konnten.

B) Auch das phantastische Orgel-Spiel von Thijs Schrijnemakers (Orgel Vreten) erschien oft viel zu reduziert im Mix – wenn überhaupt!

Ausgesprochen nach vorne gemischt war hingegen der exzellente Sänger des Projekts Wudstik (bürgerlich: Jermain van der Bogt). Sein Verhalten auf der Bühne bewies nebenher noch, dass man sehr wohl engagiert einen Progmetal-Song intonieren kann, ohne dabei jemals in ein Pathos-Fass zu fallen wie Obelix in Zaubertrank.

Trotzdem leitet dies zu Kritikpunkt Nr. 3 über: Wudstik ist ein großartiger Interpret, das wusste man bereits spätestens seit dem FAWK-Album Nr. 1. Seine Stimme wird vielfach mit der vom Pain of Salvation-Frontmann Daniel Gildenlöw verglichen. Was Anlass zu einem Mini-Exkurs gibt: Die geniale Frontzicke Daniel (neben PoS u.a. Transatlantic, The Flower Kings, ganz aktuell: The Sea Within) gilt als einer der weltweit besten ProgMetal-Sänger. Umso attraktiver erscheinen Sänger, die von Stimmumfang, Klangfarbe und Interpretationsvermögen der seinen relativ nahe kommen. Davon gibt es unseres Wissens nur eine Handvoll, Martin LeMar (Lalu, Mekong Delta) ist so jemand, Ted Leonard (Enchant, Spock’s Beard, Transatlantic) auch. Wudstik wie gesagt ebenfalls. Doch auch Kristoffer Gildenlöw (u.a. Dial, Kayak), Daniels jüngerer Bruder verfügt fernab jedes Nachahmenwollens über einen durchaus ähnlich klingenden und vergleichbar intensiv wirkenden Vortrag.

Da sich Ruud nun den schon lange in den Niederlanden lebenden Schweden als Bassist für die Live-Umsetzung seines Projekts ausgesucht hat – warum lässt man Kristoffer dann nicht auch erstens mindestens einen Song – oder (im Falle größerer dies verhindernder Ego-Probleme) wenigstens ein Duett – singen und nutzt zweitens seine phänomenale Stimme nicht intensiv für den Harmoniegesang? Beides Fehlanzeige – Kristoffers Mikro war – falls überhaupt offen – jedenfalls nahezu stumm geregelt. Jammerschade. Davon jedoch völlig unbeeindruckt rockte der Ex-PoSer das hohe Haus mit seinem sechsaitigen Bass fast in Stücke und versuchte alles Stehengebliebene mit seinem extrem matteschmeißenden Headbanging umzublasen.

Ausgewiesene Asse der ProgMetal- und Djent-Fraktion sind ja auch Bart Hennephof (Gitarre) und Stef Broks (Schlagzeug) von der grad ihren Abschied zelebrierenden niederländischen Institution Textures. Marco Kuypers (Keyboards; u.a. Cloud Machine, Maiden uniteD) schließlich komplettierte das ungemein kompetent agierende Septett, das einen mitreissenden Mix aus den beiden zur Verfügung stehenden Scheiben offerierte.

Die Zugabe ‘We Are The Light’ musste ohne die Parts der auf Platte brillierenden Anneke van Giersbergen auskommen – doch das minderte den alles andere überdeckenden Schlusseffekt keineswegs: For All We Know (this) is an excellent Band! Hoffentlich spricht sich das bald genügend herum, dass sich weitere Auftritte und Alben lohnen.

Setlist FAWK:

Breathe: In (Intro)
Take Me Home
Busy Being Somebody Else
Fade Away
I Lost Myself Today
When Angels Refuse To Fly
They’ll Win
Prophets In Disguise
Down On My Knees
Breathe: Hold / Blind Me
Some Will…
Embrace Erase Replace Embrace
Nothing More… + Reprise

We Are The Light
Breathe: Out

Live-Fotos: Tobias Berk

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Rezension “Take Me Home” (2017)

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Rezension “Sigma” (2017)
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