A Perfect Circle – Eat The Elephant
(54:41, CD, BMG, 2018)
14 Jahre ist es schon her, dass mit “emotive” das letzte Studioalbum von A Perfect Circle herauskam. Dementsprechend groß war die Vorfreude, als Sänger Maynard James Keenan und Bandgründer/Mastermind/Gitarrist Billy Howerdel das neue Werk “Eat The Elephant” für den 20. April 2018 ankündigten. Sofort überschlugen sich Fans und sobald die ersten Songs online waren, wurde fleißig diskutiert, interpretiert, analysiert – die Anhänger dieser Band haben wie bei fast allen Projekten (Tool, Puscifer), an denen Sänger Maynard James Keenan beteiligt ist, sehr hohe Erwartungen. Diese wurden jedoch durch die ersten drei Singleauskopplungen schon mehr als erfüllt.
Jetzt liegt endlich auch das Album vor. Neben Keenan und Howerdel hört man James Iha an der Rhythmusgitarre, Matt McJunkins am Bass und John Friedl am Schlagzeug. Leider gab es für Rezensenten bisher keine richtigen CDs, sodass zum Artwork und auch zu den Texten bisher wenig gesagt werden kann – beides Aspekte bei dieser Band, die genauso wichtig sind wie die Musik. Aber so kann der Hörer und Leser sich selbst mit Maynards Texten auseinandersetzen und kriegt keine fertige Interpretation – das wäre auch gerade bei seinen Texten unangebracht.
Dazu muss man aber auch sagen, dass die ersten drei ausgekoppelten Songs diejenigen sind, die am stärksten nach A Perfect Circle klingen. Über das Album gehen sie nämlich ungewohnte, aber durchaus gelungene, Seitenwege. Vor allem die Keyboards sind dominanter und als Instrument den Gitarren gleichwertig. Gleich der Opener ‘Eat The Elephant’ beginnt jazzig und erinnert ganz stark an Radiohead. Manch Hörer könnte sich bei einem solchen Albumbeginn vor den Kopf gestoßen fühlen. Aber, wie Maynard singt: “Just take the bite, just go all in!”
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Der disillusionierte Hörer wird dann in ‘Disillusioned’ zurück zu “seinen” bekannten APC geholt. Hier wusste man bereits bevor das Video zu dem erst nur in Audio-Fassung erschienenen Song nachgeschoben wurde, dass es um Smartphones und Social Media geht. “Dopamine” singt Maynard – denn bei den Glücksgefühlen, die die Aufmerksamkeit der anderen in den sozialen Medien hervorruft, wird genau das ausgeschüttet. Maynard vergleicht das mit Pavlovs Hunden. So wie die Glocke bei Ihnen in Erwartung von Futter (auch wenn es keins gab) Speichelfluss auslöste, wird bei uns Dopamin ausgeschüttet, wenn ein Social Media Messenger auf dem Handy blinkt. Die Band verbittet sich übrigens, dass auf ihren Konzerten mit Handys gefilmt wird, es wurden sogar schon Leute deswegen rausgeworfen. Das Lied ist quasi die Erklärung dafür. Runter mit den Smartphones, die wir nur zur Hand nehmen, weil wir eigentlich total desillusioniert sind. Stattdessen sollten wir uns aufeinander fokussieren und aufeinander besinnen. Es ist fast ekelhaft, wenn man bedenkt, dass viele gerade das Lied über ihr Handy hören oder sich gegenseitig News über die Band oder diese Rezension hier über soziale Netzwerke schicken. Papa Maynard ist nicht mehr wütend, er ist enttäuscht von uns. Das folgende ‘The Contrarian’ bleibt ähnlich bandtypisch, nur ein wenig düsterer (wer der besungene Magician ist, könnte man sich denken).
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‘The Doomed’, die erste Singelauskopplung, überzeugte bereits durch ein Video, bei dem die Band eindringlich, aber nicht vorwurfsvoll dem Zuschauer in die Augen blickt. Das Lied ist hart, rockig, aber opulent. Und der Einsatz von Keyboard ist sophisticated und auf den Punkt. Maynard preist im Bergpredigt-Stil die Gierigen, Reichen und Unzüchtigen und fragt im ruhigen Part niedergeschlagen was aus den Ruhigen, Gnädigen und Frommen geworden ist. Sie sind alle verdammt. Was durch das Zurückkehren in die harte Strophe untermalt wird. Am Ende wird die neue Seligpreisung auf der Welt und in der Gesellschaft deutlich: “F*ck the doomed, you’re on your own!” Gänsehaut.
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‘So Long And Thanks For The Fish’ wurde noch vor zwei Tagen als Vorläufer des Albums herausgebracht und wird jeden A Perfect Circle-Fan zum Schmunzeln bringen (oder auch zu Hasstiraden hirneißen, wie man online jetzt öfter festellte. Das ist sie wieder, die alte Prog-Thematik. Bloß nicht aus dem bekannten Rahmen fallen, nicht wahr liebe Fans von PROGRESSIVER Musik?). Selten hat die Band einen so (scheinbar) fröhlichen Song kreiert, der selbst im Radio laufen könnte. Der Titel ist natürlich eine Referenz an Douglas Adams “Per Anhalter durch die Galaxis” und auch im Text sind viele popkulturelle Referenzen zu finden: Willy Wonka, Major Tom, Muhammad Ali und Prinzessin Leia. Und überhaupt: “Bravissimo! Hip hip hooray!” Gleichzeitig hört man Maynard aber an, wie traurig er eigentlich ist. Das Lied ist Sarkasmus pur.
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‘TalkTalk’, die dritte Single, beschäftigt sich in musikalisch typischer 3/4-APC-Manier mit Heuchlern, die religiöse Motive benutzen und sich als religiös geben, ohne in diesem Sinne zu handeln. Maynard fordert auf: “Don’t be the problem. Be the solution!” Gab es jemals eine deutlichere Aufforderung der Band an die Hörer?
Klavier und Geigen eröffnen ‘By And Down The River’ und Maynard lässt seine Stimme hymnenartig darüber spielen. ‘Delicious’ ist wieder fröhlich und etwas poppig, bis der Refrain mit der Akustikgitarre richtig Stadionrockig nach vorne treibt und man nicht umhin kommt, mitzuwippen. “How unlike you to hoist away – good night, sleep tight.” Man mag selbst herausfinden, ob man sich angesprochen fühlt.
‘DLB’ ist das vom Piano gespielte Intro zu ‘Hourglass’. Und hier werden wir wieder überrascht: Tanzbare Sounds (inklusive des Snare-Sounds) und spielerische Orgelklänge tragen Maynards verzerrte Stimme, deren Effekte zwischen fast rappendem Marilyn Manson und Daft Punk-mäßiger Computervoice wechseln. Die Sanduhr zerbricht, alles bricht zusammen, egal ob Oligarchen, “Republikraten”…am Ende gibt es den Countdown.
‘Feathers’ kommt wieder nachdenklich und bandtypisch daher und wäre der perfekte Albumabschluss. Hier bringt uns die Band jedoch wieder zum Schmunzeln und schiebt ‘Get The Lead Out’ hinterher, einen langsamen keyboardbetonten Song mit E-Drum-Beats und entfernt verhalltem Gesang. Eine schwebende Drum’n’Bass Nummer als Rausschmeißer. Besser kann die Band uns nach den vorherigen Songs (und vierzehn Jahren) nicht verabschieden.
Das lang und sehnsüchtig erwartete Album sorgt beim diensthabenden Betreuer dafür, dass Dopamin ausgeschüttet wird. Nach vierzehn Jahren haben Fans hohe Erwartungen, doch genau ohne Erwartungen sollte man an ein neues Album dieser Band herangehen. Sie knüpfen da an, wo sie aufgehört haben, haben ihren Stil nicht verloren, sondern bereichern ihn um neue Elemente und scheinen viel sarkastischen Humor mit ins Studio gebracht zu haben, den sie in die Songs einfließen ließen. Passt perfekt zur weiterentwickelten Band. ‘Eat The Elephant’ ist jetzt schon ganz definitiv eines der Alben 2018!
Man kann die Band übrigens auch im Sommer live erleben. Infos dazu gibt es hier (und natürlich auch hier).
Bewertung: 14/15 Punkten (GH 10, MK 14, KR 13, PR 14)
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