»Prog ist unprätentiös in seiner Protzigkeit«
Der Name „Weserbergland“ wie auch der lustige Albumtitel “Sehr Kosmisch Ganz Progisch“ machten neugierig. Ein reger, sehr gehaltvoller Austausch mit dem Mann hinter diesem Projekt entwickelte sich sehr schnell. Und man sieht, wie weitreichend sein Einfluss ist – siehe unten.
Original Interview
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Bitte gib unseren Lesern einen knappen Überblick zum Weserbergland – Projekt oder Band, Besetzung, Diskografie etc.!
Es hat neun Jahre gedauert, “Sehr Kosmisch Ganz Progisch” zu komponieren und aufzunehmen. Natürlich nicht full time, aber das Schreiben hat wirklich eine ganze Weile gedauert.
Ich würde es ein Langzeit-Projekt nennen, da wir das Konzept einer Band herauszufordern und zu erweitern versuchen. Wir arbeiten gerade an neuem Material.
Woher rühren der lustige Projektname und die spaßigen Songtitel?
Das ganze Projekt entstand ja aus meiner Liebe zum Krautrock. Eigentlich sogar zu mehr als nur Krautrock. Tatsächlich bin ich ein Deutschland-Fan: vom Wein über die Literatur und Kunst bis hin zu den schönen Landschaften und Städten. Ich liebe es einfach.
Die Namen der Songs sind Arbeitstitel, die ich eigentlich noch ändern wollte, weil sie so albern sind (vgl. z.B. Das Trinklied vom Jammer der Erde). Doch dann dachte ich: “wen juckt’s? Es ist, was es ist.” Das Album interpretiert einige Aspekte der deutschen Kultur aus dem Blickwinkel eines Außenstehenden.
Außerdem war mir aufgefallen, dass es schon einige deutsche Metal-Bands mit norwegischen Namen gibt. Das finde ich so amüsant wie faszinierend: Was an Norwegen würde einen deutschen Metalhead dazu bringen, ein Teil davon sein zu wollen, was wir haben? Haben die möglicherweise eine exotische oder vielleicht auch ein wenig unkorrekte Vorstellung von Norwegen? Und ist es bei mir vielleicht genau analog? Habe ich etwa eine exotische oder vielleicht auch ein wenig unkorrekte Vorstellung von Deutschland?
Vielleicht. Aber so ein “vielleicht” birgt das Potenzial für interessante Kunst, finde ich. Übersetzungsfehler können sehr erhellend sein – und das trifft auch auf so einen Blick von außen zu.
Die Arbeitstitel beziehen sich auf den Entstehungsprozess der jeweiligen Stücke. ‘Tanzen und Springen’ hat keine direkte Verbindung zu Hans Leo Hasslers gleichnamiger Barock-Komposition. Aber zumindest sein Ende ist von Renaissance-Kompositionstechniken inspiriert. Zum ‘Trinklied’ wurde ich vom gewaltigen emotionalen Register der deutschen Komponisten der Spätromantik inspiriert (von Mahler habe ich mir den Namen ausgeliehen). Die ‘Fuge’ ist zwar keine, aber enthält immerhin einen Kanon. ‘Tristrant’ heißt so, weil ich das Album mit einem Song mit einfacherer Struktur als die anderen beenden wollte. Hier war der Arbeitstitel der einer bekannten mittelalterlichen Ballade. Und diese Balladen haben natürlich wirklich eine etwas simplere Struktur als sich später entwickelnde Liedformen.
Ist das nicht alles ein wenig hochtrabend? Ja, aber genau das liebe ich an Prog! Er ist unprätentiös in seiner Protzigkeit. Für mich ist er daher ein befreiendes Genre: ich kann darin tun und lassen, was ich will. Egal, wie klein oder groß die Idee sein mag.
Dann Weserbergland: Das ist eine Hommage an die deutsche Landschaft, die eine besonders wichtige Rolle in der Entwicklung des Krautrock gespielt hat, weil Harmonia dort gelebt und gearbeitet haben. Und ihr “Pastoral-Kraut” gehört für mich zu den schönsten Kunstformen, die Deutschland je hervorgebracht hat.
Als ich auf der Suche nach einem Namen für das Projekt war, dachte ich an nach Städten oder Regionen benannte Bands wie Chicago, Europe, Kansas etc. Hinzu kommt, dass ich das Weserbergland einfach liebe – was für ein schöner Landstrich!
Der Albumtitel hat einen noch bizarreren Hintergrund: Ich hatte mir simpel noch keinen ausgedacht, als ich Kontakt zum Designer Henning für das Cover Artwork aufnahm. Also konnte ich ihm nur sagen: Mach bitte kein schönes Progrock-Album. Lass’ es bitte nach einem deutschen technischen Unternehmen aus den Siebzigern aussehen. Aus diesem Briefing machte er das Euch bekannte Cover und schickte es mit dem bekannt-bizarren Titel zurück. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, ob es korrektes Deutsch ist. Aber es passt super zur Idee des “von draußen Hineinschauens” – und es sieht einfach gut auf dem Cover aus.
Welche Bands oder Musiker hatten den größten Einfluss auf Eure Musik?
Ich bin seit meiner Kindheit ein großer Fan von “klassischem” Progrock. “Sehr Kosmisch Ganz Progisch” ist für mich eine Hommage an Kraut durch Prog.
Meine Lieblings-Progbands sind die großen britischen Bands, allen voran Genesis, King Crimson, Jethro Tull und so weiter. Aber ich liebe auch italienischen Prog, also Premiata Forneria Marconi, Banco del Mutuo Soccorso und so weiter. Und darüber hinaus bin ich halt schon lange dem Krautrock verfallen. Ich glaube, dass Deutschland in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern ein künstlerisch äußerst interessantes Land war. Bands wie Can, Neu!, Kraftwerk, Tangerine Dream, Harmonia, Amon Düül 2 und viele andere erreichen mich sehr. Diese Musik spricht zu mir auf emotionalen und intellektuellen Ebenen. Aber auch die Jazz meets Rock-Szene hinter dem Eisernen Vorhang sollte nicht verschwiegen werden: SBB in Polen, Jazz Q Praha und Modry Efekt in der Tschechoslowakei – Musik von internationalem Rang, die mir lange viel bedeutet hat.
Was die Beeinflussung durch Interpreten angeht, muss ich die Klassik zumindest erwähnen. Ich habe klassische Musik studiert, aber auch sehr früh Jethro Tull und Ian Anderson entdeckt, was den Wunsch entstehen ließ, selber Prog zu machen. Als Zwanzigjähriger habe ich Jiří Stivín (u.a. Quax) entdeckt – und in den letzten 20 Jahren ist er wohl der Musiker, der mich am meisten geprägt hat.
Wie würdest Du Eure Musik in nur einem Satz beschreiben?
Instrumentaler Progrock mit Krautrock-Tendenzen – erzeugt mit und manipuliert von moderner Technologie.
Handelt es sich um ein Studioprojekt oder spielt ihr auch live? Falls ja, wie stehen die Chancen, Euch einmal in Deutschland, den Niederlanden oder Belgien zu erleben?
Das Album dürfte, so wie es ist, kaum aufführbar sein. Dafür ist der Anteil von Multitracking und Manipulation durch Computer einfach zu verrückt. Trotzdem hat der Gitarrist Gaute Storsve (u.a. Gaute Storsve Trio) es geschafft, Musiker für eine Live-Version von Weserbergland zu finden. Live stehen wir der Frühzeit von Kraftwerk (als sie noch Querflöte verwendet haben) wahrscheinlich näher als der Album-Version.
Wir würden liebend gern bei Euch spielen! Ich würde so weit gehen, dass es ganz oben auf meiner Liste steht. Erstaunlicherweise verkaufen wir in Deutschland mehr Alben als in Norwegen. Insofern besteht weiter Hoffnung, dass es irgendwann mal zu realisieren sein wird.
In welchen Bands und/oder Projekten bist bzw. warst Du noch involviert?
Seit ich Jacob (Holm-Lupo) 1996 kennengelernt habe, war ich immer mehr oder weniger Teil von White Willow. Ich habe mal bei Jaga Jazzist gespielt. Davor war ich Teil von Geir Lysnes Listening Ensemble .
Außerdem bin ich mit Mattias Olsson (auch bei White Willow und Weserbergland) and Rhys Marsh bei Kaukasus. Ich habe auf den meisten Wobbler-Alben gespielt, Lars Fredrik Frøislie von Wobbler ist ein enger Freund und guter Kollege. Mit ihm habe ich übrigens auch Soundtracks für um die zehn Dokumentationen gemacht.
Als Session-Musiker habe ich auf bislang 60 Produktionen gespielt, bei vielen davon ging es um Prog. Dabei ist Motorpsycho sicher die bekannteste Formation, aber auch Panzerpappa, Anima Morte, Suburban Savages und Pixie Ninja gehören dazu.
Und ich habe mit Galasphere 347 sogar selbst eine neue Band am Start. Die Musik habe ich mit Stephen Bennett (von Henry Fool und Tim Bowness´ Band) geschrieben – purer Symphonic Rock. Das finde ich aufregend. Mattias spielt Schlagzeug und Jacob (Holm-Lupo) Bass.
Gibt es eine gut vernetzte Musikszene in Norwegen oder erlebst Du das mehr als viele Einzelkämpfer? Gibt es Berührungspunkte mit der Prog-Szene in Schweden oder Finnland?
Von der finnischen Szene bekommen wir leider bislang nicht viel mit. Aber das würde ich gerne ändern, schließlich kam wirklich phantastischer Prog von dort, Pekka Pohjola zum Beispiel. Jacob hat mich kürzlich mit Jazz-Trompeter Verneri Pohjola bekannt gemacht. Das ist zwar der Sohn von Pekka, doch seine Musik steht komplett auf eigenen Füßen und ist wirklich sehr, sehr gut. Generell scheint die finnische Jazz-Szene sehr interessant und im besten Sinne progressiv zu sein. Also vielleicht bekommen wir ja irgendwann einmal mehr Kooperation hin?
Was Schweden angeht, so sind wir mehr eine große Sippe. Im Zentrum davon ist Mattias Olsson, durch ihn habe ich Musiker von Gøsta Berlings Saga kennengelernt, von Anima Morte und seinen eigenen zahlreichen Projekten. Und er ist natürlich so etwas wie der “Haus-Schlagzeuger” in der norwegischen Prog-Szene (White Willow, Kaukasus, The Opium Cartel, Pixie Ninja…).
Diese Szene hat ein gut funktionierendes Netzwerk. Ich habe täglich Kontakt mit anderen Musikern und Bands – sowohl professionell wie auf sozialer Ebene. Genau genommen gibt es hier sogar mehrere Prog-Szenen (Neoprog, Old School Prog, ProgMetal), aber aufgrund der überlappenden Engagements einzelner Personen gibt es auch da Verbindungen. Und das ist gut so, ich wünschte, wir könnten das noch etwas mehr durchmischen.
Es gibt aktuell so auffallend viele exzellente norwegische Prog-Bands – woran könnte das liegen?
Gute Frage… Es scheinen besonders viele junge Musiker hier Prog zu mögen – und das hilft natürlich. Aber ich vermute, dass da viele Faktoren hineinspielen, die ich nicht alle kenne. Norwegen ist nach Bevölkerung ein relativ kleines Land – und das ist manchmal günstig. Die verschiedenen Zirkel werden typischerweise nicht groß genug, sich aus eigener Kraft am Leben zu erhalten. Daher müssen norwegische Musiker immer verschiedene Dinge tun, um sich über Wasser zu halten. Ich zum Beispiel war an Musik für Kinder beteiligt, an Black Metal, an Ballett-Aufführungen und Spielmannszügen! Und irgendwie glaube ich, dass seine solche Szene einem Genre-übergreifenden Musikstil wie Prog gut tut.
Außerdem ist die norwegische Gesellschaft vom Egalitarismus geprägt, was generell Kooperationen begünstigt. Das ist natürlich keine exklusiv norwegische Erscheinung, aber ich glaube schon, dass es typisch ist. Viele norwegische Bands sind besonders gut darin zusammenzuarbeiten.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist einfach mal Robin, der Mann hinter Apollon Records. Er ermöglicht es uns, unsere Musik zu veröffentlichen. Und weil wir sie veröffentlicht bekommen, können wir mehr Musik machen…
Wie entstand der Kontakt zu Apollon?
Ich hatte das fertiggestellte Album an Karisma Records geschickt. Aber es war wohl einfach nicht nach ihrem Geschmack beziehungsweise passte nicht in ihr Profil, ich verstehe das. Nur: Robin ist auch mit Karisma involviert. Aus heiterem Himmel bekam ich ein E-Mail von einem Freund von Robin in Oslo, wir trafen uns und “Sehr kosmisch” erschien auf Apollon Records.
Robin ist ein toller Typ. Er ist ein riesiger Musik-Enthusiast, aber auch ein guter Geschäftsmann. Das ist nicht unwichtig für uns. Ich weiß, dass er nicht binnen eines Jahres Pleite gehen wird. Und das gibt auch uns Stabilität.
»In einer reinen Streaming-Welt könnten wir nicht überleben«
Wo siehst Du Dich mit u.a. Weserbergland in sagen wir fünf Jahren? Wirst Du dann noch auf CD veröffentlichen oder nur noch über Streaming. bzw. Download-Plattformen wie Spotify oder iTunes? Wo positionierst Du Vinyl?
Ich hoffe, dass CDs nicht ganz verschwinden werden, was aber durchaus passieren könnte. Trotzdem hat die CD doch einige Vorteile gegenüber dem Medium Vinyl – und umgekehrt.
Hinzu kommt, dass ich mir von dem, was Spotify überweist, nie und nimmer die Kosten eines weiteren Weserbergland-Albums leisten könnte. Die Einnahmen durch CD- und LP-Verkauf (deren Herstellungskosten leider ganz erheblich über denen der CD liegen) haben immerhin in etwa die Produktionskosten des Debüts eingespielt. Und weil das so ist, wird es vermutlich irgendwann ein zweites Album geben können. In einer reinen Streaming-Welt könnten wir nicht überleben. Und ich würde gerne weiter Musik machen dürfen, die interessant und abenteuerlich ist. Insofern hoffe ich, dass es in fünf Jahren mindestens ein weiteres Weserbergland-Album gibt, vielleicht ja sogar zwei. Und ich hoffe auf Auftritte in Deutschland.
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Übersetzung: Klaus Reckert