Der Wolf im Menschen
Australien…, unendliche Weiten. Wo man, die Ostküste und ein paar bewohnte Enklaven einmal ausgeklammert, zum Großteil ein Nichts bis zum Horizont findet. Aber da gibt es noch einen kleinen Flecken bewohntes Land an der Westküste, eingenommen von der Millionenstadt Perth…
… und in deren Süden liegt Fremantle, eine Hafenstadt mit knapp 8.000 Einwohnern – also nicht weiter der Rede wert. Oder doch?„Fremantle und Perth liegen sehr nahe beieinander, so dass wir die Szenen hier an sich nicht als getrennt ansehen. Und die Musikszene hier ist ziemlich klein, wodurch sich die meisten Bands aus den verschiedensten Genres kennen und dazu tendieren, zusammenzuarbeiten,“ erzählt uns Sänger Andrew Trevenen von der hier residierenden Band mit dem martialischem Namen Bolt Gun. Ein Name, der auch zu dem passt, was der Vierer auf den beiden bisher getätigten Veröffentlichungen, der EP „Exit As A Swarm“ sowie dem Mini-Album „Iron Surgeon“ abgeliefert hatte. Gar nicht einmal so hyperaktiv auf brutal gebürstete Sounds, die eher der frühen Psychedelic denn dem Metal zugeordnet werden müssten, treffen auf Vocals, die sich bis ins Mark hineinfressen und die man so erst einmal verdauen muss. Und nun „Man Is Wolf To Man“, das Werk, an dem niemand mit einer speziellen musikalischen Ausrichtung so einfach vorbeikommt. Wobei alle bisherigen Charakteristiken Bolt Guns einmal mehr intensiviert wurden. Der Sound geriet auf den beiden epischen Teilen noch atmosphärischer, die Vocals noch bösartiger beziehungsweise wütender. „Haha, ich denke, ich bin im Allgemeinen kein wütender Kerl, vielleicht führe ich hier aber in irgendeiner Weise schon in die Irre. Wir haben es immer geliebt, die Vocals schreiend zu inszenieren, besonders wenn das mit den Melodien im direkten Kontrast steht. Ich denke, der Gesang ist wie jedes Instrument und man kann damit experimentieren. Ich würde sagen, dass die Vocals noch wütender und härter werden, wenn es weiter vorwärts geht. Sorry!“ Was sicher vielversprechende Aussichten sind.
„Man Is Wolf To Man“ wird derweil mit folgenden Worten beschrieben – „Bolt Gun haben ein akustisches, filmisches Epos geschaffen, das den existentiellen Schrecken des stalinistischen Russlands darstellt …”.
Belohnt mit einem Sound, welcher den Missing Link zwischen Pink Floyd und Neurosis darstellen könnte.
Da drängt sich schon die Frage auf, wie eine Band aus dem fernen Fremantle dazu kommt, eines der dunkelsten Kapitel Europas im letzten Jahrhundert aufzuarbeiten. „Nein, einen russischen Background besitzt keiner von uns. Ich interessiere mich nur für die Fähigkeit des Menschen, anderen Menschen Leid zuzufügen, sei es durch Völkermord oder häusliche Gewalt. Während ich dieses Album schrieb, las ich einige Bücher über die russischen Gulags, wie Janusz Bardachs ‚Der Mensch ist des Menschen Wolf‘ (‚Man is Wolf to Man‘) und Danzig Baldaevs’ ‚GULag-Zeichnungen‘ (‚Drawings from the Gulag‘). Es ist die unmenschliche Ästhetik, die mich interessiert, nicht die Ideologie.“ Starker Tobak also, den Bolt Gun hier musikalisch umsetzten. Wobei man, wenn man es schafft, sich durch all die Growls, Grunts und Screams (an letzteren Lautäußerungen hat Gitarrist Jonathan Carroll seinen berechtigten Anteil) zu kämpfen, wahrlich belohnt wird. Belohnt mit einem Sound, welcher den Missing Link zwischen Pink Floyd und Neurosis darstellen könnte. Ein Spagat somit, der für einen fast schon grenzenlosen musikalischen Background steht. Was uns von Andrew dann auch bestätigt wird. „Ja, unser Background variiert wirklich ziemlich. Alle von uns hören schon lange Pink Floyd und Klaus Schulze. Jono, unser Gitarrist, mag Sachen wie Sleep, Locrian, Corrupted und Earth, die ihn, würde ich behaupten, vom Ansatz her ziemlich stark beeinflussten. Val, unser Bassist, steht eigentlich auf alles – Psych Rock, Electronic Stuff, Black Metal und eine Menge Older Death Metal wie Morbid Angel, Cannibal Corpse usw. Vom Gesang hier inspirieren mich Sachen wie Rainer Landfermann, Varg Vikernes und Hevi. Talya, unsere Schlagzeugerin, hat ihren Background im Jazz, bei Klassikern wie Charles Mingus, aber auch in moderneren Stuff wie The Necks.“
Aufsehenerregend ist weiterhin der Videoclip zu „Man Is Wolf To Man“, wobei der halbstündige Track hier auf die Hälfte heruntergekürzt wurde. „Ich denke, dass Labels mit straffen Zeitplänen, wie auch Art As Catharsis, Auszüge aus Alben veröffentlichen, um mit den Releases in Schwung zu kommen, da sie nicht alles auf einmal veröffentlichen können. Da wir eben nur zwei Tracks auf dem Album haben, musste einer von diesen gekürzt werden.“ Das Video, in dem der Protagonist gegen Naturgewalten ankämpft, weckt Assoziationen an einen Filmvisionär wie Andrei Tarkowski, wobei sich hier der Kreis zur thematischen Ausrichtung dieses Opus schließt. Ein Opus, das die Postrockszene Australiens auf jeden Fall bereichern wird. Apropos australischer Postrock. Dieser hat mit Vertretern wie sleepmakeswaves, We Lost The Sea, Meniscus, Dumbsaint usw. usf. sicher jede Menge zu bieten. „Natürlich kenne sich diese Bands und mag sie wirklich, aber wir kennen uns nicht persönlich. Aber wir würden uns freuen, die Bühne mit allen von diesen teilen zu dürfen.“ Es bleibt somit schon noch ein bisschen zu tun für die Band aus dem beschaulichen Fremantle.