Dirk Jan Müller, Electric Orange, zu “EOXXV”
»Erfolg ist kein Zwang«
25 Jahre Electric Orange – ein freudiges Ereignis, das die Band mit dem neuen Studioalbum “EOXXV” auf zwei CDs begeht. Das Label Adansonia ließ zur “Silberhochzeit” sogar eine prächtige Triple-LP-Box springen. Und wir baten Oberorangenelektriker Dirk Jan Müller (DJM) zum Interview.
Wechselt man, wie mir grade geschehen, von alten EO-Favoriten wie “Platte” (2003/2007), “Morbus” oder auch noch “Fleischwerk” (2008) direkt zum neuen Material, dann fällt der Wegfall von sowohl Gesang wie einer Vielzahl von verspielten Details (Zähneputz-Samples z.B.) noch mehr auf, als bei chronologischem Durchhören des gesamten Kataloges. Außerdem ist die aktuelle Musik zwar immer noch rhythmisch unwiderstehlich, aber sie wirkt sehr viel ruhiger.
Das kann schon so sein, und wird dann damit zu tun haben, dass wir ja tatsächlich alle etwas älter und ruhiger geworden sind. Was Du, denke ich, auch hörst und als Kontrast erlebst: Die Sachen auf “Platte” waren vorbereiteter, geplanter. Seit “Netto” (2011) entsteht ja eigentlich alles nur noch aus Improvisation, was sowohl witzige Samples wie Gesang erschwert oder in unserem Falle sogar meist ausschließt.
Früher haben ein oder zwei von uns einen Song vorbereitet und mit den anderen eingeübt. Heute spielen wir einfach, z.B. vierzig Minuten lang, nehmen das auf und bearbeiten die Aufnahme zu einem Electric Orange-Stück, das dann vielleicht noch fünf Minuten auf der Schallplatte hat.
Du bist in der Band Electric Orange und in Deinem stilistisch einigermaßen weit davon entfernten Soloprojekt Cosmic Ground engagiert – was für Vorbilder hast Du für das, was Du tust?
Cosmic Ground richtet sich eindeutig an der Atmosphäre elektronischer Musik der Siebziger aus – etwas, das ich an vielen aktuellen Beispielen elektronischer Musik vermisse. Bei Electric Orange gibt es zwar Schnittmengen, aber doch letztlich vier unterschiedliche Sätze von musikalischen Werdegängen und Prägungen.
Ich hatte mich selbst gefragt, woran mich Electric Orange erinnern bzw. erinnert haben. Früher wäre das qua Gesang und der fett schmatzenden Hammond tatsächlich manchmal sogar Birth Control gewesen. Während so ein Stück wie ‘Gnosis’ von “EOXXV” auch von einer ECM-Scheibe stammen könnte – eigentlich fehlen nur noch ein paar Takte Saxophon von Jan Garbarek.
(verdutzt) Also Jazz hat nun eigentlich wirklich keiner von uns als Hintergrund. (denkt nach) Aber das Improvisierte ist natürlich schon einmal eine Gemeinsamkeit. Und der Kontrabass klingt natürlich häufig von sich aus “jazzig”.
Genau. Und außerdem gibt es gerade auf ECM ja sehr schöne Mischformen von Jazz mit Elektronik, Ambient, Weltmusik.
Technikfrage: verwendet Ihr komplett analoges Equipment, wie man annehmen könnte?
Nein, nicht ausschließlich. Es stimmt, wir haben viel alten Originalkram aus den Siebzigern. Aber die Aufnahmen sind zum Beispiel digital. Aus Gründen: Bei uns wäre pro Improvisation ein 24-Spur-Tonband voll, und die sind nicht mehr ganz leicht zu beschaffen! Also wir sind da keine Puristen. Wenn einem beispielsweise ein digitales Effektgerät gut gefällt, dann benutzt er es auch.
Woher stammen beispielsweise Deine Mellotron-Sounds?
Von einem digitalen Instrument der Mellotron-Nachfolge-Company. Das hat denselben Look and Feel wie das Original inklusive Holztastatur, aber liefert gesamplete Sounds in 24-Bit-Qualität.
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Und was ist eine “Phono Fiddle”?
Das ist eine einsaitige Strohgeige, benannt nach ihrem Erfinder.
Auf “Volume 10” (2014) habt ihr mal ein lustiges Verwirrspiel mit Songnamen einer nicht völlig unbekannten Doom-Metal-Band getrieben: ‘Paraboiled’, ‘Slowbind’, ‘A Tuna Sunrise’, ‘Behind The Wall Of Sheep’ – wie kam es dazu und könntest Du Dir vorstellen, Dich so nochmal vor einer Formation zu verneigen?
Nun ja, speziell seit wir keinen Gesang mehr verwenden, haben wir ständig Schwierigkeiten, Titel zu finden. Trotzdem glaube ich, dass das ein einmaliger Gag bleiben wird.
“EOXXV” gibt es als Doppel-CD via Bandcamp von Euch. Oder als Dreifach-LP bei Adansonia. Gemastert vom legendären Eroc, sind die drei Platten in stabilen Einzelcovern untergebracht wie eine Einzel-LP, die wiederum in einem so edel wie unverwüstlich wirkenden schweren Pappschuber in der Optik alten Leders untergebracht sind. Eine auch handwerklich begeisternde Angelegenheit. Wie kamt Ihr eigentlich zusammen?
Andreas Bäcker hatte das Label glaube ich gerade gegründet und zwei Platten veröffentlicht, als er bei uns nachfragte, ob er die bislang via Sulatron nur auf CD erschienene “Krautrock from Hell” (2010) auf Vinyl rausbringen könne. Seitdem erscheinen die Vinyl-Ausgaben von Electric Orange-Musik auf Adansonia Records.
Wie zufrieden seid Ihr mit der Anmutung der Box?
Überaus zufrieden – aber es war ja auch ein langer, gemeinsamer Weg dorthin.
Und die ist wie ja inzwischen fast üblich nur limitiert erhältlich?
Genau, es gibt 411 mal schwarz/oranges 180g-Vinyl, und 111 mal klar/oranges Splatter Vinyl, jeweils handnummeriert. Beigelegt ist ein Downloadcode für das Album plus einen Bonus-Track.
Was wäre angesichts solcher Auflagen eine Erfolgsstory: Wenn die Box in einem Vierteljahr ausverkauft wäre?
Oder schneller. Z.B. “Misophonia” (2016) war in zwei Wochen weg, die Neuauflage von “Morbus” in wenigen Tagen.
»Downloads machen ein Drittel aus«
Wie laufen die Geschäfte auf Bandcamp?
Wir arbeiten noch mit einer Handvoll Mailorders im In- und Ausland zusammen. Ansonsten passiert unser Absatz an CDs und Downloads ausschließlich auf Bandcamp, wobei Downloads rund ein Drittel ausmachen. Früher hatten wir einen Shop auf der eigenen Bandseite, aber über den kam irgendwann überhaupt nichts mehr rein. Und mit Bandcamp läuft es richtig gut, zumal der dem Musiker verbleibende Erlös hier erheblich mehr ist, als bei Amazon, iTunes oder Play Store.
Inwieweit trittst Du mit Electric Orange und Cosmic Ground live auf?
Letztes Jahr hatte Electric Orange sechs Auftritte. Mit Cosmic Ground wollte ich eigentlich gar nicht auftreten, weil ich den Aufwand mit dem ganzen analogen Equipment für ein Konzert gescheut habe. Aber für das Festival E-Live in Orschot in den Niederlanden und das neunte Psychedelic Network Festival in Würzburg im Cairo habe ich es dann doch getan. Bei Cosmic Ground geht es um meine Improvisationen, bei Electric Orange ist es noch etwas komplizierter – wir müssen diese aus Improvisationen entstandenen Stücke erst mal wieder von Platte lernen für unser Live-Programm.
Kann irgendjemand von Euch ansatzweise von der Musik leben?
Nee, wir arbeiten alle ganz normal.
Das klingt aber nicht so, als ob Dich das wundern oder frustrieren würde?
Genau, ich bin ganz froh, dass es da nicht diesen Zwang zum Erfolg gibt. Das täte unserer Kreativität bestimmt nicht gut.
Electric Orange – EOXXV
(59:08 + 75:35, 2CD/3LP, Adansonia, 2017)
Bewertung: 12/15 Punkten
Surftipps zu Electric Orange:
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Andi Weimanns Mitschnitt vom Psychedelic Network Festival am 27.11.16 im Cairo, Würzburg
Rezension zu “III” (2017)
Fotos:
Iris Bothur