Den Festivalsamstag durften drei Bands aus deutschen Landen eröffnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Der Sonntags-Opener hört auf den kuriosen Namen A Kew’s Tag (wörtlich übersetzt: das Etikett eines Gingkos), und schon bald wurde klar, dass es sich hierbei nur um ein cleveres, phonetisches Wortspiel handelt. Die vierte einheimische Band des Night of the Prog 2017 hat sich ganz dem Akustik-Prog verschrieben, und trotz der völligen Abwesenheit einer verzerrten (E-)Gitarre fuhren die fünf Jungspunde ein ordentliches Brett auf.
A Kew’s Tag sind Irgendwo in der Schnittmenge von Leprous, Agent Fresco und den ebenfalls einheimischen Alternative Proggern von The Intersphere angesiedelt, und zumindest der betreuende Rezensent vermisst in ihrem eigenständigen Sound kaum eine E-Gitarre; das könnte natürlich auch an der Energie liegen, die die Fünf an den Tag gelegt haben liegen – ob es auf Platte genauso funktioniert, muss er noch testen. Es war eine beeindruckende Show dieser jungen Band, die mit ihrem eigenständigen Sound eine Nische gefunden hat und diese erfolgreich füllt, bravo!
Nach diesem äußerst gelungenen, modernen Start in den letzten Festivaltag war es Zeit für kurzweiliges Classic-Prog-Entertainment aus Frankreich. Franck Carducci und seine Band präsentierten leidlich bis wenig originelles Material – mal Pink Floyd hier, mal Genesis da, mal Yes dort) – mit solcher sympathischen Spielfreude, in bunten Kostümen und mit Überraschuingen wie einem Synthie-/Bauchtanzsolo und einem Theremin-/Didgeridoo-Jam, dass der Funke sofort übersprang.
Subtil eingestreute kleine Schlenker zu Klassikern wie ‘Carry On My Wayward Son’ (der später am Tag in anderem Kontext nochmal einje Rolle spielen sollte) oder ‘Fear of the Dark’ weckten Erinnerungen an das grandiose Prog-Medley von RPWL im Jahr zuvor. Als Finale eine nahtlose Überleitung in den “Dark Side of the Moon”-Abschlusstrack ‘Eclipse’ und fertig war ein Bilderbuch-Nachmittagsauftritt.
Bei den anschließend aufspielenden Seven Impale blieb der Bass-Sound angenehm präsent, allerdings tendieren die Kompositionen, die die sechs jungen Norweger präsentierten, eher in Richtung King Crimson, was klassische Prog-Einflüsse angeht. Mit ihrer Mischung aus Rock, Jazzfusion und Avantgarde erkundet die Gruppe freie Formen des Songwritings. Die erhaben düstere Magie, die Seven Impale’s Musik auf Tonträger teilweise versprüht, war zwar nicht zu spüren, aber der Auftritt bot einen willkommenen Abstecher in schräge Gefilde.
Schräg ging es auch weiter mit den Außerirdischen vom Planeten Gong. Auf ausdrücklichen Wunsch von Gongmeister Daevid Allen wird die Band nach seinem Tod weitergeführt. Die verrückte Truppe ausgezeichneter Musiker bot einer hypnotische, wilde Show. Ein fretless Bass mit goldenem Griffbrett, silberne Fingernägel, passend zu den Schuhen, Ansagen der Marke “Insert your own prophecy here” oder “It’s enough being the instruments of love”: Weirdness zum größtenteils ansprechenden Kunstprodukt erhoben. Gesangspassagen und “herkömmliche” Song-Parts treffen besonders dann ins Schwarze, wenn die ganze Band mit Trance-artigen, repetitiven Passagen eine großartige hypnotische Wirkung hervorruft.
Dann ging es wieder in konventionelle Gefilde. Chris Thompson, langjähriger Sänger der Earthband um Manfred Mann, hatte ein exklusives Prog-Set versprochen, jedoch klingen im direkten Vergleich zu Seven Impale und Gong auch die proggigsten Earthband-Songs wie Pop. Aber darum geht es ja zum Glück nicht, sondern ausschließlich um qualitativ hochwertige Musik. Und die bot Thompson mitsamt seiner exzellenten, überwiegend norwegisch besezten Backing Band reichlich. Gitarrist Mads Eriksen und Keyboarder Gunnar Bjelland gebührt besondere Erwähnung für herausragende Beiträge zum Gelingen des Auftritts. Bei Elisabeth Moberg mangelte es an Gesangskunst, oder sie kann einfach nicht mit einem Mikrofon umgehen – jedenfalls war das eingewebte Traditional ‘Babylon’ (“…we lay down and wept, and wept, for thee Zion”) in ‘The Road to Babylon’ nix. Ganz anders das unsterbliche ‘Father of Day, Father of Night’, das eine willkommene Abwechslung zum mit der Zeit eintönig werdenden Shuffle-Blues-Schema darstellte und das Gänsehaut-Highlight des Tages war.
Diese Intensität konnten Thompson und seine Mitstreiter schwerlich aufrecht erhalten, und so steuerte das dann schwankende Schiff langsam aber sicher auf die ‘Mighty Quinn’ Zugabe zu. Diese sang der Großteil des älteren Publikums genüsslich mit, aber es hätte eher in den Fernsehgarten als auf ein Prog-Festival gepasst. Die Bob Dylan-Fans werden diesen kleinen Seitenhieb hoffentlich entschuldigen. Trotz allem insgesamt ein wohlklingender Auftritt für Melodiesüchtige und Nostalgiker.
Als Retter in der Not kamen dann die von vielen heiß ersehnten Stammgäste Marillion wieder auf den Felsen. Der Rezensent hoffte, dass sich ihm als langjährigen Fan das aktuelle Album “F.E.A.R.” im Livekontext endlich erschließen würde – bei Steven Wilson‘s “Hand. Cannot. Erase.” hatte das schon funktioniert – aber der Aha-Effekt blieb leider aus. Wie befürchtet, zogen sich die Longtracks ‘El Dorado’, ‘The Leavers’ und ‘The New Kings’ ohne wirkliche Höhepunkte und erkennbares Ziel in die Länge. Einzig die ohrenbetäubende Lautstärke wirkte der aufkommenden Langeweile entgegen, allerdings nicht positiv.
Warum sich ein Besucher später auf der NotP-Facebookseite über körperverletzende Pegelüberschreitung bei den Headlinern vom Vorabend (Yes feat. Anderson, Rabin & Wakeman) beschwerte, aber Marillion in diesem Zusammenhang unerwähnt ließ, ist ein Rätsel – vielleicht war er auch nur am Samstag zugegen. Wenn die Computer-Bässe schon im leisen, atmosphärischen Intro zur Marbles-Großtat ‘Invisible Man’ den Fotografen und Fans in den ersten Reihen die Frisur nach hinten föhnen und die Pegel im Laufe des Konzertes immer weiter nach oben geschoben werden, bedeutet das leider nichts Gutes. Und dass die sonst so routinierte Saitenfraktion mit Steve Rothery an der Gitarre und Pete Trewavas am Bass über weite Strecken dieses Intros so weit auseinander lagen, dass man schon nicht mehr dran glauben wollte, dass sie irgendwann wieder eine gemeinsame Eins finden könnten, verbesserte den Gesamteindruck auch nicht.
Das kürzere quasi-Titelstück ‘Living in FEAR’, der Evergreen ‘Easter’ und das überraschende ‘Man of A Thousand Faces’ boten willkommene Abwechslung und zum Abschluss gab es dann mit ‘Gaza’ und der Zugabe ‘This Strange Engine’ doch noch zwei versöhnende, spannende Epics. Frontpfau Steve Hogarth litt sich gewohnt ausdrucksstark wie ein Method Actor durch jede einzelne Zeile seiner poetischen Lyrics. Ob der Seitenhieb auf Kansas wegen deren fadenscheiniger Absage-Gründe und eine kurze ‘Wayward Son’-Verhunzung lustig oder eher arrogant und peinlich war, sei dahingestellt, dass muss jeder selbst entscheiden.
Die zahlreich anwesenden Fans empfingen Marillion jedenfalls wie die verlorenen Söhne und feierten sie nach allen Regeln der Kunst ab. So war die kurzfristige Verpflichtung der Briten ein Glücksgriff für den Veranstalter und den Großteil der aus aller Welt angereisten Prog-Enthusiasten. Der anwesende Betreuer hingegen hofft inständig auf ein spannenderes nächstes Marillion-Album und freut sich auf das 13. Night of the Prog Festival auf der Loreley, das vom 13. bis 15. Juli 2018 stattfinden wird. Mit Big Big Train und Mystery sind dafür bereits zwei hochkarätige Bands bestätigt.
Fotos: Dario Albrecht
Surftipps zum Night of the Prog Festival:
Festivalbericht zum 1. Tag, Freitag 14.07.
Festivalbericht zum 2. Tag, Samstag 15. 07.
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