Das “Night of The Prog”– Festival auf dem altehrwürdigen Felsen der Loreley am Mittelrhein ging dieses Jahr in zwölfte Runde. Mit Mike Portnoy‘s Shattered Fortress und Yes feat. Anderson, Rabin & Rick Wakeman hatte man auch dieses Mal hochkarätige Headliner verpflichten können, wobei die Kontroverse um die kurzfristige Absage der ursprünglich geplanten Sonntag-Headliner Kansas, die eine angebliche Reisewarnung des US-Außenministeriums vorschoben, für einigen Wirbel gesorgt hat.
Die nach wie vor führende Neoprog-Band (und nebenbei Loreley-Stammband, lange bevor das Night of the Prog ins Leben gerufen wurde) Marillion traten als Retter in letzter Minute auf. Sie ließen sich die Gelegenheit nicht nehmen, ihr begeistert aufgenommenes aktuelles Album “F.E.A.R.” auch hier zu präsentieren. Doch der Reihe nach.
Im Vorfeld äußerten einige Camper auf Facebook Unmut wegen des Pavillon-Verbots, und das Line-up hatte in den letzten Jahren immer mehr zu Wünschen übrig gelassen – vor allem für Freunde der härteren und moderneren Prog-Spielarten. Für Letztere versprach wenigstens der diesjährige Freitag ein Bombenbrett. Den Anfang machten die jungen Österreicher von Second Relation, die mit ihren poppigen Gesangsarrangements (die allerdings leider nur teilweise live waren), direkt für gute Laune sorgten. Mesmerizing Cryptic Forms, wie einer ihrer Aufsteller versprach, suchte man zwar vergeblich, dafür bewegt sich die Musik von Second Relation einfach zu sehr in traditionellen Songstrukturen und bekannten Klangmustern. Aber ihre ureigene, moderne Vision von modernem Prog mit Pop-Einflüssen, die sie auf dynamische und sympathische Weise präsentierten, ist von gehobener Qualität und der Spagat zwischen Spielfreude und klanglichem Anspruch gelang spielerisch.
War der Einstieg mit Second Relation schon gut, setzen Maschine in jeglicher Hinsicht noch ein bis zwei Schippen drauf. Mehr Jazz, mehr Metal, mehr Prog, mehr Spielfreude, und ein Drummer, der kaum zu bändigen war. Kein Wunder, verdient der Schlagzeuger mit dem klangvollen Namen James Stewart doch seine Brötchen normalerweise bei der polnischen Deathmetal-Legende Vader. Er ist es dadurch wohl gewohnt, mehr Action bei Auftritten zu bieten, als viel Prog-Bands zusammengenommen, und er hatte sichtlich einen Heidenspaß daran, auch mal etwas anderes, anspruchsvolleres zu spielen als immer nur Double Bass bei drölfhundert BPM durchzudreschen.
Mainman Luke Machin‘s Saiten-Sidekicks rechts und links, Daniel Mashal und Elliott Fuller an Bass und zweiter Gitarre, könnten optisch auch einer HipHop-Band zugehörig sein. Besonders Bassist Daniel Mashal hat jedoch sowohl den Groove als auch den Jazz mit Löffeln gefressen (zugegeben, beides Eigenschaften die im HipHop sicherlich auch nicht fehl am Platze wären) und kommt kaum mehr aus dem Grinsen heraus. Elliot Fuller spielt seinem Bandboss und Mastermind Luke Machin kongenial zu, der sich wieder einmal als einer der talentiertesten Gitarristen seiner Generation präsentierte. Lediglich Keyboarderin und Co-Sängerin Marie-Eve de Gaultier blieb etwas blass und ihre Platzierung in der Mitte der Bühne stand im Gegensatz zu ihrer auditiven Positionierung im Mix.
In der Mitte zog sich der Auftritt der Brighton Boys zwar etwas, da der Fokus naturgemäß auf dem aktuellen zweiten Album “Naturalis” lag, das nach dem Dafürhalten des betreuenden Rezensenten nicht ganz die Klasse des 2013er-Debüts “Rubidium” erreichte, doch mit den abschließenden Übersongs ‘Megacyma’ und ‘Rubidium’ ging die Fieberkurve nochmal steil nach oben. Soundtechnisch zwar nicht ganz so perfekt wie ihre direkten Vorgänger auf dieser Bühne, dafür aber energetisch, authentisch und spieltechnisch beeindruckend.
Und weiter ging’s mit den Italienern von Soul Secret die den gehörigen Jazz-Anteil, den Maschine präsentierten, wieder zurückschraubten und an dessen Stelle eine gesunde Portion Melodic Metal stellten. Der nahtlose Einstieg ins reguläre Set war vom Soundcheck noch etwas irritierend, aber es stellte sich schnell heraus, dass hier absolute Profis am Werk waren. Die Songs des erst zwei Wochen später veröffentlichten vierten Albums “Babel” erfuhren ihre Live-Premieren und wurden erstaunlich enthusiastisch vom Publikum aufgenommen, trotz des nicht zu überhörenden putzigen italienischen Akzents von Sänger Lino Di Pietrantonio und recht generischen Kompositionen zwischen Dream Theater und Haken. Qualität kann man ihnen schwerlich absprechen, einen eigenständigen Sound sucht man jedoch vergebens. Trotzdem ein guter Auftritt der Neapolitaner, leidlich getrübt von einem viel zu verwaschenen Sound.
Blind Ego gingen dann noch einen Schritt weiter zurück und legten in teilweise strömenden Regen eine astreine Melodic Hardrock-Show hin, die, buchstäblich mit allen Wassern gewaschen, auch die härtesten Prog-Nerds im Wolkenbruch ausharren ließ, weil sie einfach so unglaublich gut und unterhaltsam war. Bei ‘Never Escape the Storm’ forderte Frontmann Scott Balaban, der dankend die volle breite der Bühne ausnützte, scherzend seinen Bandchef Kalle Wallner auf, das nächste Mal doch lieber ein Lied über Sonnenschein zu schreiben. Doch pünktlich zum groß angekündigten ‘old school guitar battle’ hatten sich die Himmelsschleusen wieder geschlossen, und die beiden Gitarristen, neben RPWL-Kalle der talentierte junge Julian Kellner (Dante), trauten sich auch unter dem Dach hervor auf den Laufsteg.
Refrains wie ‘Hear My Voice Out There’ sind in ihrer Geradlinigkeit zwar kaum zu überbieten, dafür entschädigen dann Sachen wie die mit einer Sylvan-mäßigen Melancholie gesegnete Single ‘Blackened’. Und tatsächlich, Sylvan-Bassist Sebastian Harnack ist auch bei Blind Ego am Start und groovt was das Zeug hält. Mit dieser Besetzung, die sich zur Tour zum dritten Album “Liquid” zusammengefunden hatte, scheint sich das einstige Soloprojekt von Kalle Wallner zur richtigen Band gemausert zu haben – im Publikum wurde sie sogar schon die “deutschen Alter Bridge” genannt. Ein routinierter und professioneller, aber dennoch sympathischer und mitreißender Auftritt.
Das britisch/schwedische Kollektiv Crippled Black Phoenix hatte es danach sehr schwer, das Energieniveau oben zu halten. In leicht veränderter Besetzung als bei ihrem Loreley-Debüt 2013 wollte irgendwie kein richtiger Drive aufkommen. Ob es am Publikum lag, das sich zwischen Blind Ego und dem kommenden Headliner eine Auszeit gönnen wollte, oder an der Band, die der Verfasser dieser Zeilen auch schon enthusiastischer erlebt hatte, sei dahingestellt. Aber fünf Songs hintereinander zu fragen: “Wollt ihr noch einen hören” trägt nicht gerade zum Flow einer Show bei. Wenigstens auf die abschließende Bandhymne ‘Burnt Reynolds’ mit endlosem Mitsing-Chor war nach wie vor Verlass.
Warum die Loreley zur Spock’s Beard/Neal Morse-Reunion im letzten Jahr brechend voll war, obwohl sowohl die Bärte als auch ihr ehemaliger Front-Prediger durch deutlich kleinere Venues tingeln als die immer noch unangefochtenen Progmetal-Könige Dream Theater, aber rechts und links in den Zuschauerrängen gähnende Leere herrscht, als die ehemals treibende Kraft des Traumtheaters mit einigen der besten jungen Musikern der Szene endlich (und wohl auch einmalig) die ‘Twelve Steps Suite’ in voller Länge aufführt (zumal noch als exklusive Deutschlandperformance) – es bleibt ein Rätsel. Herauszufinden, was die Leute heutzutage noch hinterm Ofen hervorlockt, erfordert fast schon hellseherische Fähigkeiten, das hat der Autor als Mit-Organisator eines kleineren Festivals auch schon schmerzlich erfahren müssen. Aber die Tatsache, dass das Amphitheater nur ungefähr zu zwei Dritteln gefüllt war, tat der sensationellen Show in keinster Weise Abbruch. Die Anwesenden wurden mit einigen der besten Songs der Progmetal-Historie verwöhnt, dargeboten in vollendeter Spielweise und mit perfektem Sound. Einzig Sänger Ross Jennings merkte man die Strapazen der letzten Wochen an (sofern man den Vergleich zu einem früheren Gig der Tour hatte), aber selbst nicht ganz in Topform steckt der an seinen besten Tagen Herrn LaBrie inzwischen locker in die Tasche.
Unterstützung an der Gesangsfront gab es vom einzigen nicht von Haken ausgeliehenen Wunderkind, Eric Gillette von der Neal Morse Band. Der machte bei ‘The Root of All Evil’ klar, dass er genauso in der Lage gewesen wäre, das komplette Konzert zu singen. Und natürlich von Meister Portnoy höchst selbst bei ‘Repentance’, das der Rezensent sich allerdings immer noch mit Mikael Åkerfeldt wünscht – im emotionalen Gesamtkonzept jedoch durchaus vertretbar.
Weder die Setlist, bestehend aus dem einrahmenden Anfang und Ende von “Metropolis Pt. 2”, der angekündigten “Twelve Steps Suite”, deren Veröffentlichung sich auf fünf Studioalben im Zeitraum von 2002 bis 2009 erstreckte, plus dem “Awake”-Kracher ‘The Mirror’, der thematisch sozusagen der Vorläufer der ‘Twelve Steps Suite’ ist, noch die Performance aller Beteiligten ließen an diesem Abend zu wünschen übrig. Zwei sensationelle Überraschungsmomente seien hier noch hervorgehoben, bevor Schluss ist mit Lobhudelei: Die Hinzunahme des “Metropolis”-Riffmonsters ‘Home’ war das absolute Sahnehäubchen. Und das Solo von Bassist Conner Green im Über-Instrumental ‘Dance of Eternity’, der sich extra dafür auf die gefühlt kilometerweite Reise von seinem Effektboard im Hintergrund auf den Laufsteg begeben durfte und sich bei diesem Ausflug zum Glück auf die Geistesgegenwart von Roadie, Social Media Manager und Arkentype-Drummer Simen Sandnes verlassen konnte, der im richtigen Moment aufs Knöpfchen drückte. Alles in allem boten Mike Portnoy’s Shattered Fortress eine unvergessliche Tour de Force durch einige der besten Dream Theater-Songs. Die Wehmut, nachdem man realisiert hatte, dass man diese Konstellation nie mehr so sehen werden wird, konnte gottseidank durch die Vorfreude auf Haken- und Eric Gillette-Großtaten aufgefangen werden. So ging ein ereignisreicher erster Festivaltag zu Ende.
Surftipps zum Night of the Prog Festival:
Festivalbericht zum 2. Tag, Samstag, 15.07.
Festivalbericht zum 3. Tag, Sonntag 16.07.
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WIV Entertainment (Veranstalter)
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Eric Gillette