(38:21, CD, Eigenverlag, 2016)
Die genialen Öz Ürügülü aus der Schweiz haben einen finnischen Zwillingsbruder namens Utopianisti, der leider völlig zu Unrecht ein Schattendasein fristet. Seit letztem Jahr liegt bereits der dritte Utopianisti-Streich vor. Ist das nun Zappa im Avant-Jazz-Gewand oder Avant-Jazz in Zappa-Maskierung? Weder das eine noch das andere und schon gar nicht sowohl als auch. Mastermind und Multiinstrumentalist Markus Pajakkala (Saxophone, Flöten, Klarinetten, Keyboards und Percussion) ist der Prinz der Herzen bzw. der Thronfolger sämtlicher Liebes-Symbole und erschuf bereits mit den ersten beiden Utopianisti-Alben (Zitat Volkmar Mantei: „Dringende Empfehlung!“) einen eigenen musikalischen Multikosmos, der alle Freunde origineller Klänge restlos begeistern sollte: Prog Rock, Jazz, Folk, zeitgenössische klassische Musik, Avantgarde, Zappaeskes, Filmmusik, Extreme Metal und etliche weitere Stile fusionieren nach ihrem Aufenthalt in Markus‘ Klang-Mixer zu einem Schwingungs-Smoothie, der jegliche Form von schlechter Laune bereits im Ansatz vertreibt und fit für den Tag macht.
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Der besseren Nachvollziehbarkeit halber stelle man sich eine um Musiker von Thinking Plague, 5UUs und U Totem erweiterte, orchestrale Version von Mr. Bungle vor, die unter der musikalischen Leitung von Frank Zappa verjazzte Extreme Metal-Nummern covert. Herr Pajakkala wird bei dieser Süffiphos-Aufgabe unterstützt von Olli Helin (Trompete), Antero Mentu (Gitarre), Anssi Solismaa (Keyboards), Jaakko Luoma (Bassgitarre), Tuomas Marttila (Marimba und Percussion)und Rolf Pilve (Schlagzeug). Letzterer sollte Heavy-Metal-Fans als Trommler der Band Stratovarius bekannt sein. Als Gastsänger fungieren Suvi Väyrynen und Pharaoh Pirttikangas. Suvi ist eine derart begnadete Sängerin, dass sie als Sopran-Version von Dagmar Krause im Avant-Bereich bezeichnet werden kann.
Markus ist in der Lage, Stücke zu schreiben, in denen mehrere Sonnen gleichzeitig über dem Noten-Firmament aufgehen; jede Komposition hat einen eigenständigen Charakter, der von vielen stimmigen Wechseln geprägt ist. Wäre die Mehrheit der Menschen deutlich wacher und in höherem Maße eigenständig denkend als dies momentan der Fall ist, so würde die Musik von Öz Ürügülü oder Utopianisti häufig im Radio laufen und wir hätten bereits die Post-Prog-Ära erreicht. Die genannten Bands brauchen eine Hörerschaft, die sich auf eine akustische Reise einzulassen bereit ist, um sich die Stücke selbständig zu erschließen. Hier reicht bloßes Sich-berieseln-lassen nicht aus, man muss während des Hörens solcher akustisch-kreativen Höchstleistungen immer wieder aufs Neue mit Brüchen, Schlenkern, plötzlichen Stopps und Kehrtwendungen rechnen. Dafür wird ein jeder sich nicht selbst an die Mainstream-Leine gekettet Habende mit atmosphärischen Gipfel-Erlebnissen en masse belohnt. Wir haben es darüber hinaus besonders bei Utopianisti mit klanglicher Metaphysik zu tun, nicht mehr und nicht weniger. Vermutlich hätten sich Johann Sebastian Bach und Markus Pajakkala viel zu erzählen gehabt, wenn sie sich hier auf Erden getroffen hätten; möglicherweise hätten sie sogar zusammen Musik komponiert.
Frank Zappa hätte, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, Markus Pajakkala und seine Musik kennen zu lernen, diesen musikalischen Tausendsassa sofort in seine Band geholt und ihn bereits zu Lebzeiten zu seinem Nachfolger erkoren, das ist für jeden, der Utopianisti kennt, völlig klar. Markus zählt für mich zusammen mit J. S. Bach, Frank Zappa, Prince Rogers Nelson und Klaus König zu den talentiertesten Komponisten und Musikern aller Zeiten, wobei ersterer noch ziemlich am Anfang seiner Karriere steht. Man darf also sehr gespannt sein, welche tonalen Gewitter als nächstes aus Finnland über uns hereinbrechen. (Abgesehen von Utopianisti tobt sich Herr Pajakkala noch auf einer anderen Spielwiese namens Brutopianisti – einer Extreme Metal-Version von Utopianisti – aus. Ergibt Bruttopianisti minus Utopianisti Nettopiansiti? Das wäre dann vermutlich die Pop-Version.) Der einzige Nachteil dieses Albums besteht in seiner viel zu kurzen Spielzeit. Bitte bei der nächsten CD zweimal 38 Minuten Musik auf das Rundstück bannen und dieses dann als Double Klopper anbieten, sonst sind die Entzugserscheinungen bis zur vierten Utopianisti-Scheibe zu gravierend. Für die Grenzerfahrung der dritten Art Rock bleibt also nur der Modus der Wiederholungsfunktion, was ohnehin empfehlenswert ist, um tausendundein Detail, das in jeder Nummer steckt, entdecken zu können.
Bewertung: 14/15 Punkten (FB 14, KR 13)
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