Wie es sich anfühlt, wenn sich etwa 1000 voll bekleidete Menschen in einer Sauna im Zustand temporärer Verzückung befinden, konnte man im Rahmen dieses denkwürdigen Konzertereignisses erleben. Die Vorfreude auf den Headliner war im Raum nicht nur hör-, sondern auch spürbar, als der Snarky Puppy-Patriarch Mr. Premier League höchst selbst die Bühne betrat und die Vorgruppe namens Becca Stevens Band ankündigte – es knisterte an allen Ecken und Enden.
Nichts Ominöses ahnend war man geneigt, das Trio an Akkordeon (Liam Robinson), Gitarre, Charango und Gesang (Becca Stevens) sowie Schlaginstrumenten (Jordan Perlson) mit einem Höflichkeitsapplaus zu begrüßen. Dann ging es Schlag auf Schlag; nach der ersten Nummer gesellten sich der grandiose Wischmopkopp Michael League an diversen bassigen Instrumenten sowie Mike „Maz“ Maher als Chorsänger zur Becca Stevens Band und transformierten diesen Abend, in dessen Verlauf so einige Begegnungen der vierten Art stattfanden, von der dritten in die fünfte Dimension. Die Namensgeberin der Band sang mit einer Inbrunst, die selten so subtil zu Tage tritt wie bei ihr. Becca Stevens‘ Stimme schwingt in einer Amosphäre, die man Same Aeria nennen könnte und in welcher Sängerinnen wie Tori Amos, Sam Brown und Kate Bush beheimatet sind. Aber auch Joni Mitchells Timbre ist der Beccissima sicherlich nicht fremd. Meist sind die Nummern der Becca Stevens Band vordergründig sehr gefällig, aber zu keinem Zeitpunkt oberflächlich und manchmal angeschrägt – mitunter fast bis zur Abbruchkante – aber die Tante kriegte mit ihren Begleitmusikern immer die Kurve. Allenfalls der Sohn der Perlen, der mehrheitlich im Hintergrund agierte, es allerdings knüppeldick hinter den Ohren hat, gab manchem Stück einen derartigen Drive, dass die Noten wie ein Schwarm Pulsare fast wie bei einer interdimensionalen Stampede auseinanderstoben. Das Publikum wippte begeistert mit und wiegte sich im Winde der luftig-drückenden Kompositionen – im Kontext der zwingend-swingenden Grooves von Mr. Dramaman gingen definitiv keine rhythmischen Finessen über den Jordan. Immer wieder auf- und abtauchende Vokal-Arrangements wiesen eine Bandbreite von Gentle Giant bis Manhattan Transfer auf und sind in doppelter Hinsicht als brillant zu bezeichnen, da sowohl die Kompositionen als solche als auch die deren Darbietung sehr zu gefallen wussten. Die Achterbahn der musikalischen Assoziationen überspannte nie den Bogen des für Mainstreamliner Erträglichen, aber trotz alledem ein Terrain, das von Animal Logic über The Nits, Fisher Z und Bent Knee bis hin zu Sleepytime Gorilla Museum reichte. Wer nicht spätestens an diesem Abend neugierig auf die Becca Stevens Band wurde, dem ist vermutlich nicht mehr zu helfen. Von dieser Band wird man noch so einiges hören, selbst wenn man geneigt ist, seine Ohren vor musikalischem Genie zu verschließen und sich statt dessen schlafenden Schafen und pennenden Drachen zu widmen.
Kurze Pause und der zweite Akt begann: Im Rahmen dieser Tour standen bei Snarky Puppy neun Musiker auf der Bühne – diese Band ist ein Kollektiv aus ca. 40 Musikern und wie bei einem Überraschelungs-Ei weiß man vorher nie genau, was drin ist. Diesmal gab es Saxophon & Querflöte (Chris Bullock), Trompete & Flügelhorn (Mike Maher), Geige (Zach Brock), Bassgitarre & Moog Bass (Michael League), Gitarre (Bob Lanzetti), Keyboards aktuell & Trompete (Justin Stanton), Keyboards antiquiert (Bobby Sparks), Percussion (Nate Werth) und Schlagzeug (Larnell Lewis). Auf alle Fälle ist der humanoide Spiel-was-das-Zeug-hält-Faktor des Puppy-Eies von edelster Klangschokolade ummantelt, die nach Jazz/Fusion schmeckt, allerdings nicht zu sehr verkopft, sondern eher zum Kopfnicken. Des öfteren fanden Battles zwischen Drums/Percussion, Keyboards/Trompete/Saxophon oder Violine/Drums statt. Diese mehrheitlich teilimprovisierten Sequenzen dienten allerdings nicht als Alibi zum Bierholen, sondern gestalteten sich äußerst kurzweilig; das war ohne Übertreibung Weltklasseniveau. Die Anwesenden dankten den agilen Musikern immer wieder mit frenetischem Applaus.
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Ist das nun Acid Jazz oder (nur) Basic Jazz? Ist dieses Band-Kollektiv ein Dosenöffner für die Büchse der Pandora musikalischer Atavismen oder ein Dimensionstor zu einem Paralleleuniversum der Zukunftsmusik? Keines von beiden und doch beides zugleich. Unzweifelhaft fungieren Snarky Puppy für viele junge Menschen als Türöffner ins Jazz-Universum, was nicht genug gewürdigt werden kann. Orthodoxe Jazzer rümpfen schon mal ob der „flachen“ bzw. „fahrstuhligen“ Klänge der scharfzüngigen Welpen die Nase, vermutlich weil sie sich der Paradoxie ihres Tuns nicht bewusst sind, war der Jazz doch dereinst die Zukunftsmusik der Vergangenheit und zudem extrem tanzbar. Falls eine Etikettierung der Stilistik gewünscht wird, vielleicht trifft es am ehesten die Bezeichnung Extreme-Le(ague) Progressive Big Ba(n)d Symphonic Space Jazz. Die höheren Weihen dieser anspruchsvollen Unterhaltungsmusik könnte man alternativ Retro Avantgarde nennen oder auch Roots – The Next GenerationSnarky Puppy. (Or just call it contemporary music without blinders.) Auf alle Fälle werden musikalische Elemente gekonnt aus der Vergangenheit in die Zukunft katapultiert. Diese Amerikaner könnten auch den Bandnamen Groovemaster Flashed – auf Erden, im Wind und im Feuer – tragen, wobei der Drummer Kanadier ist – kanna da was für?! Matze Maher spielte übrigens so gefühlvoll Trompete wie er zuvor gesungen hatte: beides in einer hervorragenden Qualität, wohingegen man bei den Vokaldarbietungen des einen oder des selben hierzulande sehr bekannten Trompetisten eher von einer gehörnagenden Qual reden muss. Der Gitarrist hielt sich an diesem Abend sehr zurück; trotzdem wurde seine große Klasse deutlich erkennbar, da er jedem Song genau das gab, was er brauchte, um Männlein wie Weiblein ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern; music is magic if it‘s played with a loving heart beat. Trotz oder gerade wegen einiger Missgeschicke – abgängige Drum Sticks, Fehlverkabelungen etc.; that‘s live, man – versprühte dieses Konzert einen unvergleichlichen Charme.
Snarky Puppy waren in Karlsruhe alle neune Volltreffer und sind nicht nur an HalloWen die Barking Pumpkins ohne wenn-Vibraphon und aber-Marimba. Frank Zappa wäre ausgefreakt, hätte er diese Band kennenlernen dürfen; er hätte mit Miles Davis, ein jeder in seiner Rolle als Spiritus Rector, auf der Bühne um die Wette dirigiert, um diese jungen Hunde zu bandIGen. Da jedes Snarky Puppy-Konzert perfekt gemischt im Online Store der Band zum Download zur Verfügung steht, mag sich jeder Interessierte selbst ein Hörbild davon machen, welch unvergleichliche Soundorgien die Amerikaner aus ihren Handgelenken zu schütteln vermögen.
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Eine eminenzbasierte Publikumsbefragung ergab eine Altersvarianzbreite von 16 bis 69 Jahren. Etliche Väter waren zusammen mit ihren Söhnen gekommen, weil sie durch ihre Junioren auf Snarky Puppy aufmerksam wurden. Die Musikerquote im Publikum war ziemlich hoch, ebenso der Frauenanteil. So etwas ist bei Prog-Konzerten undenkbar, sogar bei Progroove-Bands wie Spock‘s Beard sind Frauen eine zu vernachlässigende Minderheit.
Setlist Snarky Puppy:
1. Kite
2. Semente
3. Whitecap
4. Flood
5. Thing of Gold
6. What About Me?
7. Big Ugly
8. Lingus.
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Fotos: Pressefreigaben