The Electric Family – Terra Circus
(44:22, CD, Sireena Records/Broken Silence, 2017)
Was passiert, wenn viele Köche in einem Topf unter einem Deckel stecken? Sie setzen den Brei mittels zweier Elekdroiden unter einen Strom und aus dem Kochtopf dringt ein Leuchten, das die gesamte Küche erhellt und sämtliche anderen Töpfe und Pfannen in Reih und Glied tanzen lässt. Dieses Schau-Spiel mutet fast wie die Geschirr-Zirkusnummer aus dem Musical „Die Schöne und das Biest“ an. Noch etwas Fleisch-Brühe dazu und fertig ist die Suppe, welche die mit allen Wassern gewaschenen Kochlöffelschwinger aus dem Inneren des Topfes heraus auf kleiner Flamme köcheln lassen; sie kocht dennoch über, weil der Deckel ganz dicht aufliegt und sich deshalb immer wieder ein Überdruck aufbaut. Wenn man weiß, dass die Köche – von außen unsichtbar – ihre Kost auf Kosten anderer nach Geheimrezepten zubereiten, mag einem der Appetit vergehen. Wer möchte zuerst probieren? Bedenken werden laut, dass viele Köche den Brei verderben und die scheinbar wahllos verwendeten Zutaten einer ausgewogenen Geschmackskomposition nicht eben zuträglich sind.
Papperlapapp! Mund auf, ein Löffelchen für Pappa, ein Löffelchen für Mama, ein Löffelchen für den großen Bruder und gut ist… es tatsächlich. Es mundet wider Erwarten: Jam-Geschmack. Wer hätte das gedacht – Marmelade? Glücklicherweise ist der klebrige Brotaufstrich in diesem Fall nicht süß, sondern erinnert an Wein. Jeder, der die Namen der Köche kennt, ist davon nicht wirklich überrascht: Weinsuppe mit Graupen, jungem Gemüse und Freundschaftsbändchen-Einlage; das ist in kalorischer Hinsicht eine solch sichere Bank, dass deren Verzehr muntere Männer müde macht. Die Wirkung dieser Suppen-Variante ist unter Normalköstlern eher unbekannt; man mag sie in Ermangelung einer geeigneten Kategorie Kraut-Prog-Punk-Psychedelic-Country-Folk-Rock nennen. George, der Leadermacher ist und sich für einen großen Guide hält, bezeichnet die oben erwähnte Suppe, weil sie selbst Connaisseuren schwer im Magen liegt, als die Rolling Stones des Fisch-Lands. (Dieses Land, das vom Kopf her stinkt, liegt übrigens neben dem Ei-Land.) George weiß als leidenschafftlicher Lobby-Koch, dass man eine Suppe reduzieren muss, um daraus einen Eintopf zu machen. Außerdem hat er sich als bekennender Illusionist Slogans wie „Magie, immer eine gute Suppe“ ausgedacht. Allerdings träumt er aufgrund seiner Gift- und Gallen-Steine in letzter Zeit immer öfter von einer Herde ELEnd(er)FANDEN, die vor einer MAUs große Angst haben, besonders weil die Dickhäuter wissen, dass diese mAUS darum weiß. Schweißgebadet wacht George deshalb fast jede Nacht auf und schreit in Panik: „Erst rollen die Steine und dann die Köpfe!“
Auf der Terrarasse des Restaurants Sanitario Santuario bereiten heute den Barber-Cue zu: Tom The Perc Redecker (Gesang und Gitarren), Harry Payuta (Gesang, Sitar und Bass-Gitarre), Rolf Kirschbaum (Gesang und Gitarren), Anders Becker (Keyboards) sowie Hanno Janssen und Steff Ulrich (Schlagzeug) kredenzen mit dem Dreamboat gefangene Schillerlocken, die noch immer ein cooles „Hai!“ auf den Lippen haben und mit einer Prise Doors sowie einer Messerspitze Jimi Hendrix – genau der Jimi, der alle Drix auf der Gitarre drauf hatte – gewürzt wurden. Dieses Gericht ist so berühmt, dass die Gäste von weit her kommen, um zu urteilen. Thomas Jefferson, der mal mit dem Airplane und mal mit einem von 50 Starships anreist, ruft aufgrund des unübersichtlichen Gewimmels auf der Terrarasse, bei dem man jeden Überblick verliert, empört aus: „Was ist das nur für ein TOXIK World Circus. Ich besetze nun zusammen mit Andrew die Bank des Richters in Ermangelung eines solchen und verurteile diese Zustände ganz entschieden.“ In der Jury sitzen die Sisters Of Mercy Lucrecia (Lieblings-Zitat: La vita è come uno specchio – ti sorride se la guardi sorridendo.) und Mary (Lieblings-Zitat: Yes we can.), die Walkabouts, die aufgrund der vielen Zusatzstoffe im Essen nicht still sitzen können und die Grateful Dead, die sich ständig gegenseitig auf die Schippe nehmen, um sich mit selbiger schließlich zu begraben. Zum Nachtisch gibt es von Nick Cave mit der Bröselmaschine geschrotete Bat Seeds. Schließlich wird das Urteil von Staranwalt Andrew Jackson, der trotz irischer Vorfahren einen Kilt trägt, verkühndet: Tom Petty, der ständig fünf Asse in petto hatte, wird zur B-Straffung durch den Wolf gedreht und tritt danach als Wolfgang Petry in Erscheinung – Betty und der Wolf inTeam in der Bö(r)senkammer, daraus entstehen trotz gefährlich aussehender Reißzähne völlig wehrlose, sich in trivial erscheinende Widersprüche verstrickende und total vergessliche Wer-Wölfe, die sich nicht einmal mehr an Miss Sophie erinnern können. Die Wer-Wölfe plappern alles heraus, was sie wissen, denn in der Weinsuppe, die sie täglich in schockgefrosteter Form vernaschen, lügt sogar ein Kernchen Wahrheit. Auf diese Weise endlarvt kommt ein uralter Schwindel wieder zu Bewusstsein – die Schwindler werden, ohne den Löffel abgeben zu müssen, hinter Schloss und Riegel auf Entzug gesetzt. Ein jeder von ihnen springt in seiner Zelle Gummi-Twist im Dreieck. Nachdem den ausgekochten Schlitzohren von den inkognitösen Gehheim-Agenten der Eklektiker-Familie gründlich die Suppe versalzen wurde, haben Lucrecia und Mary, die mutig wie Tigerinnen ebenfalls undercover im Hintergrund agierten, die Vision, eine Movin‘ Party bei der Landmarke zu fairanstalten. Gesagt, getan. Nachdem Tom, Harry, Rolf, Anders, Hanno und Steff in der Werft „all-eure-Sorgen-auf-ihn“ eine Bühne improundcontravisiert haben, spielen sie ihre wahrhaft elektrisierende Musik live und ohne Overdubs und alle tanzen dazu zufrieden in eine neue Zeit. Alle? Nein, die Avantgarde-Schnösel und die Komplex-Progger, die ohnehin nicht tanzen können, sitzen wie so oft schmollend in der Ecke und denken sehnsuchtsvoll an die Zeiten der kopflastigen Musik zurück. In der nun Einzug haltenden Zuckerwatten-Szenerie läuft ihnen alles zu soft und zu rund. Und die Moral von der Geschicht: Unterschätzt in der Suppe das Salz der Erde nicht.
Bewertung: 8/15 Punkten (FB 8, KR 8)
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