(42:33, Download, Eigenproduktion, 2017)
Voller Begeisterung und Hoffnung sind die Worte, die im Waschzettel für diese frische, mit “The Observer” debütierende sechsköpfige Band aus den USA geschwungen werden. Und auch bei den “For fans of”-Angaben zeigt man sich wenig bescheiden und flüstert dem Liebhaber solcher Kapellen wie Haken, Leprous und Between The Buried And Me ins Ohr, dass dieser Dreiviertelstünder doch unbedingt etwas für sie sei. Somit werden dem potenziellen Hörer schon einmal entsprechende Eckpfeiler in den zerebralen Boden gerammt – entsprechend hoch sind die Erwartungen, denn unvermeidbar stellt sich die Frage: Gelingt es der Band tatsächlich, den proggigen Wahn von Between The Buried And Me, die hakensche Epik und die eigenwillig jazzig-progrockig-sphärisch-eingängige und dann doch wieder sperrige Klangkunst von Leprous zu einem brauchbaren Ganzen zu vereinen?
Fast. Wie alles an diesem Album “fast” ist. Und vielleicht wird die Band hier – gewollt? ungewollt? – auf ebendiese drei Bands festgenagelt. Denn gleich ‘Observer’ ist eine Mischung aus Intro und Halbsong, die hinsichtlich Melodieführung und Struktur doch stark an BTBAM respektive Tommy Rogers erinnert, deren Alben nicht selten auf diese Weise Schwung holend beginnen, und man wartet schon auf den ersten ‘richtigen’ Song, der dann mit der Tür ins Haus fällt, mit plötzlichem Rappel und Zeter und Mordio und Gitarrenfeuerwerk und Schlagzeuggewitter. Wenig überraschend ist es dann auch, dass der Folgesong ‘The Grand Skeptic’ entsprechend einsetzt, mit einem schicken, aber ziemlich klassisch proggigen, durch Schlagzeugakzente gestärkten Gitarren-Arpeggio.
Anschließend kommt man während des gesamten Verlaufs des elf Songs enthaltenden Albums aus dem Vergleichen auch gar nicht mehr heraus, denn nun spielen sich in des Hörers Kopf tatsächlich Haken und Leprous die Bälle zu, mit gelegentlichen Pässen gen und von Between The Buried And Me. Diverse Breaks und doppelläufige Gitarreneskapaden sind es, die man gerade von Letztgenannten kennt – auf die extremmetallische Komponente und auch auf extreme Vocals wird allerdings komplett verzichtet. Dann die Fusionjazz-artigen, präzisen, abgehackten Klangpuzzlestücke, in denen alle Instrumente absolut synchron einem Rhythmusmuster folgen, wie man sie eben von Leprous schon gehört hat (und wie es auf “The Ink Complete” von Spastic Ink bereits vor vielen Jahren perfektioniert wurde). Von den Skandinaviern kennt man auch den häufig auftauchenden Pop-Appeal in den Refrains.
Nicht zu vergessen die (E-)Klavierparts und die melodischen Endlos-Hooks, die, äh, Haken schlagen. Selbst Shay Lewis’ Gesang hüpft munter zwischen den drei Sängern genannter Bands hin und her. Zugegeben, den Einfluss von Tommy Rogers hört man eher selten – meist nur in den hochfrequenten Passagen -, dafür schwirrt um so mehr der Spirit von Einar Solberg (Mikrofonmann der leprösen Norweger) umher, und auch das Tonspektrum von Haken-Vokalist Ross Jennings versucht Lewis abzudecken. Das gelingt ihm zwar technisch sehr gut, doch so ganz kommt er an die Klasse aller drei Vokalisten nicht heran. Besonders “ganz oben” wird es etwas unrund, weil sich dann in Lewis‘ Klangfarbe ein leicht unangenehmer, nölig-nasaler, fast affektiert klingender Unterton breitmacht.
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Im Grunde wäre die Charakterisierung dieses Albums hiermit bereits abgefrühstückt – man könnte lediglich noch hinzufügen, dass der metallisch angehauchte Progrock der sechs Herren hier und dort noch mit ein paar Prog-Standards ausgestattet ist, die man einerseits als Progfan natürlich liebgewonnen haben dürfte, die aber eben nichts weiter als Standards sind. Hier ein paar an die klassische Musik angelehnte Melodiebögen, dort ein ach so frecher Ausbruch aus dem Quintenzirkel. Alles da, verpackt in drei- bis vierminütige Kompositionen. Lediglich “Turn Off The Pictures”, der abschließende, mit acht Minuten Spielzeit längste Song, bricht aus den stilistischen und strukturellen Schemata ein wenig aus und überrascht mit ein paar Elementen, die ein Tim-Burton-Feeling aufkommen lassen. Warum nicht öfter so mutig? Schick klingt das!
Nun kann natürlich den Schreibern des Promotiontextes vorgeworfen werden, durch vorschnelles Namedropping eine Voreingenommenheit beim interessierten Hörer zu evozieren. Doch es beschleicht den Rezensenten das Gefühl, dass die Band noch zu sehr in einem Nacheifer-Modus gefangen ist und stellenweise zu verkrampft versucht, es “wie die anderen” zu machen. Wie BTBAM. Wie Haken. Wie Leprous. Wie ihre offensichtlichen Idole. Nachzuhören auf der Soundcloud-Seite der Band.
Man könnte diese Review selbstverständlich in den falschen Hals bekommen, doch es ist beileibe kein Verriss. Das Album ist solide, es ist hinsichtlich seiner Machart, seiner songschreiberischen Qualitäten und auch der Produktion definitiv im oberen Qualitätsdrittel anzusiedeln – auch der Verfasser dieser Zeilen hat weitgehend Spaß an dieser Veröffentlichung. Doch eine gewisse Unzufriedenheit schwingt immer mit. Da wäre so viel mehr drin gewesen. Artificial Language haben unglaubliches Talent – wenn sie nun noch ihre individuelle musikalische Sprache finden und weniger “wie” klingen, könnte aus ihnen ein fürwahr aufregender Act werden. Bis dahin bleibt lediglich ein anerkennendes Nicken, das durch skeptisches seitliches Hin- und Herneigen des Kopfes unterbrochen wird.
Bewertung: 10/15 Punkten (CP 10, KR 10)
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