(2CD/1DVD Deluxe Edition, Medienbuch, Chrysalis /Warner Music, 1969/2016)
As time goes by – mit Riesenschritten nähern wir uns dem 50. Geburtstag von Jethro Tull, 2018 ist es soweit. Wenn Ian Anderson und sein Remix-Bediensteter Steven Wilson die bisherige Schlagzahl beibehalten, werden bis dahin alle essenziellen Tull-Alben in diesen wundervollen Mediabuch-Editionen vorliegen, die uns regelmäßig Freudentränen in die Augen treiben. An der Reihe ist jetzt „Stand Up“.
Vor und nach der Veröffentlichung dieser zweiten Tull-Scheibe 1969 geriet bei der Band einiges in Bewegung. Die Besetzung: Gitarrist und Gründungsmitglied Mick Abrahams wollte nach dem Debütalbum „This Was“ weiterhin den Blues. Bald darauf hatte er ihn, denn Anderson verfolgte andere Pläne, deshalb musste Abrahams gehen. Er rief Blodwyn Pig ins Leben, mit denen er einige gute Alben veröffentlichte, dann wurde es ziemlich ruhig um ihn – musikalisch aktiv ist er jedoch bis heute. Als Abrahams-Nachfolger war zunächst Tony Iommi vorgesehen. Der brachte es auf einen öffentlichen Auftritt mit Anderson & Co. bei den Aufnahmen zum Konzertfilm „The Rolling Stones Rock And Roll Circus“, dann zog er weiter und gründete bald darauf … – na, Ihr wisst schon. Für Iommi kam Martin „Lancelot“ Barre, der bis zu seinem selbst gewählten Abschied 2012 neben Ian Anderson eine tragende Säule und die einzige Konstante bei Tull bleiben sollte. Anderson sagte einmal, Tull ohne Barre sei nicht vorstellbar, und er hat Wort gehalten: Unterwegs ist er seither nur noch als „Jethro Tull’s Ian Anderson“.
Die Musik: Mit „Stand Up“ verließen Jethro Tull das Bluesrock-Terrain weitgehend. Anderson nahm außer der Flöte auch noch das Heft in die Hand und führte die Seinen zu neuen Ufern. Das Ergebnis war eine Sammlung von Songs, die noch nicht so stringent ausfiel wie das Material der meisten folgenden Tull-Scheiben, aber mächtig zündete: Zu hören ist eine ebenso abwechslungsreiche wie hochkarätige Mischung aus Blues- und Hardrock, Jazz, Klassik, Folkrock und Weltmusik – darunter der Live-Evergreen ‘A New Day Yesterday’, der famose Folk-Spaß ‘Fat Man’, das quirlige ‘For A Thousand Mothers’, und natürlich die unsterbliche, seinerzeit und in den Siebzigern als Nachtgebet aller Jethro-Tull-Jünger gehandelte Bach-Adaption ‘Bourée’.
Der Erfolg: Mit „Stand Up“, das Ian Anderson selbst neben „Aqualung“ und „Songs From The Wood“ zu seinen drei Lieblingslingsplatten von Tull zählt, ging es das erste Mal durch die Decke. Das Album erreichte den Spitzenplatz der britischen Charts, in den USA gab es Gold dafür.
Die vorliegende, nach dem berühmten Pop-up-Gimmick benannte „Elevated Edition“ fällt , wie bei dieser Reissue-Reihe gewohnt, maximal opulent ausgestattet aus. Auf CD1 finden sich Steven Wilsons neuer Stereomix des Albums sowie einige rare Aufnahmen. Darunter eine bisher unveröffentlichte ‘Bourée-Version, mehrere BBC-Livetracks, sowie Stereo-Single-Mixe von ‘Living In The Past’ und ‘Driving Song’.
Wilson hin oder her – das Highlight dieser Reissue ist CD2: Sie präsentiert Jethro Tull live in Stockholm, wo die Band im Januar 1969 als Support für Jimi Hendrix auftrat. Im Repertoire waren Songs von „This Was“ und von „Stand up“ sowie das nie als Studioaufnahme veröffentlichte tolle ‚To Be Sad Is A Mad Way To Be‘. Dieser Konzertmitschnitt kursiert seit vielen Jahren mannigfach als Vinyl- und CD-Bootleg, kommt in Sachen Klangqualität hier aber deutlich besser und fällt für solch eine alte Aufnahme absolut amtlich aus. Das Ganze atmet den Geist der Zeit und klingt aus heutiger Sicht beinahe schon archaisch. Auf genau solches Futter warten die Fans – möge Ian Anderson also beim weiteren Buddeln in den Archiven ein glückliches Händchen haben und gnädig mit uns sein! Die Disc wird abgerundet von den Mono-Single-Mixes ‚Living In The Past‘ und ‚Driving Song‘, außerdem von zwei Radiospots, mit denen das Album angekündigt wurde.
Die DVD enthält Videomaterial mit Konzert-Ausschnitten (‚To Be Sad Is A Mad Way To Be‘,‚Back To The Family‘), außerdem Steven Wilsons Remix des Originalalbums in PCM-Stereo und im DD/DTS 5.1. Surround-Sound, eine hochaufgelöste 96/24-Übertragung der Original-Stereo-Mastertapes, sowie die Direktübertragung der Original-Mono- und Stereomixes von ‘Living In The Past’ und ‘Driving Song’.
Stoff zum Lesen und rares Bildmaterial gibt es auch reichlich – auf sage und schreibe 112 Seiten diesmal. Fazit: Wieder ein Must have, gar keine Frage. So darf es mit dieser Reissue-Reihe gerne weitergehen.
Bewertung: 12/15 Punkten (Musik), 15/15 (Aufmachung und Ausstattung, Sammlerwert) – (WE 13, DS 12)
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