(52:16, CD, Dead End Exit/Sound Pollution, 2016)
Astrakhan ist eine noch weniger bekannte Band aus Schweden, die mit “Adrenaline Kiss” ihr zweites Album vorlegt. Ein Blick auf die Liste der beteiligten Musiker offenbart jedoch ein paar klangvolle Namen. So war Bassist Per Schelander zu “Road Salt”–Zeiten bei Pain of Salvation aktiv. Produzent und Gitarrist (wenn wohl auch nur Session-mäßig) Marcus Jidell sorgte in letzter Zeit vor allem mit Soen und Avatarium für Furore. Dazu kommt noch Pers Bruder Jörgen Schelander an den Keyboards und mit Alexander Lycke ein erfahrener Musicalsänger, das rhythmische Fundament legt Martin Larsson an den Drums. Alle zusammen haben ein sehr “schwedisches”, leicht angeproggtes Classic-Rock-Album eingespielt.
Los geht’s mit ‘Hear Me Now’ und schon beim Eröffnungsriff wird klar, wie wichtig Marcus Jidells Gitarrenspiel und -sound für das Album ist. In der ruhigen Strophe darf Per Schelander mit seinem wunderbar warmen Basssound glänzen, und das kräftige Timbre des dem Rezensenten bis dato unbekannten Sängers weiß auch zu gefallen. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellt, ist nicht nur dieser Song sehr traditionell strukturiert, das tut der Qualität jedoch keinen Abbruch. Wer Marcus Jidell von den oben genannten Bands kennt, wird ihn sofort wieder erkennen, spätestens beim Gitarrensolo. Nicht umsonst wird er von seinen Kollegen bei Soen ‘Metal God’ genannt.
Das martialisch betitelte ‘Wisdom Of Mass Destruction’ legt dann den Musical-Background des Sängers am deutlichsten offen, erinnert jedoch sehr viel stärker an die deutschen Ivanhoe mit dem großartigen (Musical-Sänger) Mischa Mang als an deren ungleich bekanntere Prog-Metal- und Prog-Musical-Brüder von Vanden Plas. Der wohl härteste Track der Scheibe, ein starkes Stück mit kraftvoll doomigem Abgang.
‘Silver Dreams’ braucht etwas länger, um nach dem Vocal-Intro mit einem klassisch stampfenden Riff in die Gänge zu kommen. So richtig überzeugt es aber erst im Refrain mit einem mehrstimmigen ‘I am the sun, falling to the ground’ zum Dahinschmelzen und einer wunderschönen Basslinie von Per Schelander. Die Vintage-Keyboardsounds von Jörgen Schelander kommen im Mittelteil endlich etwas mehr zur Geltung, der wiederum in einen doomigen Part überleitet. Erinnerungen an die schwedischen Prog-Doom-Metaller von Jupiter Society (bei welchen Marcus Jidell auch schon mal gastierte), die u. a. Power-Röhre Mats Levén hinterm Mikro hatten, werden wach. Die erste Single-/Videoauskopplung des Albums, ‘Alive’, ist eine astreine Powerballade zwischen Pain of Salvation und Wolverine, die recht nah an die emotionale Intensität der Vorbilder herankommt. Fettes Riff im Mittelteil, Gänsehaut Slideguitar-Solo von ‘Metal God’ Marcus Jidell und wieder zurück zum Anfang. Der beste Song des Albums!
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Das folgende Titelstück ‘Adrenaline Kiss’ wartet mit voller Deep-Purple-Breitseite auf, ein kraftvoller klassischer Rocker mit leicht orientalisch angehauchtem Mittelteil. Dann wird’s wieder schwedischer im Opeth-lastigen ‘One More Day’, wobei der Sound der Retro-Prog-Superstars auch vorher des Öfteren schon mal um die Ecke geschaut hatte. Schöne Bass/Keyboard/Gitarrenbewegungen im Mittelteil bevor es kurz besinnlich wird und dann über einen Lagerfeuer-Gitarrenpart wieder zum hymnischen Refrain geht. In der ‘Ballade De Rhodes’ ist genau das drin, was draufsteht. Wo in der Strophe vielleicht noch ein bisschen mit Emotionen gespart wird, legt der Refrain dafür in der Hinsicht gleich ein paar Schippen drauf und drückt ordentlich auf Herzmuskel und Tränendrüse. Und dann bekommen wir mit dem Main Riff des folgenden ‘Gravity’ das beste Riff um die Ohren gehauen, das Opeth nie geschrieben haben. Eine durch und durch schwedische Angelegenheit also das ganze Album, sind doch der Großteil der genannten Referenz-Bands auch aus dem blaugelben Teil Skandinaviens. Aber das geht völlig in Ordnung so und wird sogar noch schwedischer beim abschließenden ‘sTHLm’ (Stockholm), einer schönen, schwedisch gesungenen 6/8-Bluesrock-Balladen-Hymne auf die Heimatstadt der Band. Am Ende darf Marcus Jidell noch einmal wie bei seiner Hauptband Avatarium aufdrehen.
So bleibt festzuhalten, dass die Schweden mit ihrem Sound sicher keinen Blumentopf für Innovationen gewinnen werden, mit “Adrenaline Kiss” jeodch ein grundsolides Album voller starker Songs vorlegen. Ein kleiner Kritikpunkt wäre noch anzumerken. Im Booklet sind statt der Lyrics kurze Linernotes zu jedem Song abgedruckt. Prinzipiell informativ, aber wenn sie sich so ehrlich lesen wie zum Titelsong (zusammengeschmissene Überbleibsel aus anderen Songs), könnte das auch nach hinten losgehen. Auf längere Sicht bleibt Astrakhan zu wünschen, dass sie bald einen Stammgitarristen finden, der die Schuhe von Johan Hallgren (langjähriger Pain of Salvation-Gitarrist und früherer Livegitarrist bei Astrakhan) und Marcus Jidell füllen kann. Große Schuhe in der Tat, andererseits: In Stockholm werden sie da wohl genug Auswahl haben.
Bewertung: 10/15 Punkten (DA 10, KR 8)
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