»’The Apparition’ u. ‘Epitaph’ sogar noch bewegender«
Jedes Jahr Ende April holen über tausend Metal-Fans aus ganz Europa ihre Kutten aus dem Schrank und pilgern ins tauberfränkische Lauda-Königshofen, um Konzerte mitzuerleben, von denen sie sonst schon lange zu träumen aufgehört hätten. Dieses Jahr war den Organisatoren des Keep it True (KiT), Oli Weinsheimer und Tarek Maghary, den mächtigsten Band-Nekromanten der Welt, ein besonderer Streich gelungen: Fates Warning spielten anlässlich des dreißigjährigen Erscheinens von “Awaken The Guardian” in der Besetzung von 1986. Eine Scheibe, die viele Fans für das beste Album in der Geschichte des Jemals halten – ein Pflichttermin also. Mit dem Rest des Line-ps sind wir diesmal nicht vertraut, aber so ergibt sich die Gelegenheit einige Bildungslücken zu schließen.
Aus logistischen und Verkehrsgründen treffen wir m Freitag erst nach 19 Uhr ein. Die Bude ist voll, die Tickets fürs nächste Jahr sind schon vergriffen, und auch die Fates-Warning-Shirts gehen bereits zur Neige!
Die erste Band für uns ist The Rods, ein US-Trio, dessen hervorstechendstes Merkmal darin besteht, dass Gitarrist David Feinstein ein Cousin von Dio ist und mit diesem zusammen bei Elf gespielt hat. The Rods haben sich dem schnörkellosen Metal verschrieben und liefern einen soliden, aber mäßig spannenden Gig ab, dessen musikalische und textliche Ambitionen mit der Textzeile “I just wanna rock!” gut umrissen sind.
Die “Secret Band” auf vorletzter Position am Samstagabend entpuppt sich als Ross the Boss. Namensgeber Ross Friedmann hat anno dunnemals bei Manowar gekämpft, nein: Gitarre gespielt, und pflegt dieses Erbe auch mit seiner eigenen Band, mit der er diverse Manowar-Klassiker spielt. Entsprechend werden hier lyrisch Hämmer geschwungen und Schwerter gen Himmel gereckt und tapfere Recken preschen auf edlen Rössern durch knietiefe Klischees in die Schlacht. Musikalisch ist das alles sachgemäß und mit viel Pathos und Enthusiasmus umgesetzt, besonders der junge Sänger schafft eine sehr überzeugende Darbietung aller Manowar-typischen Gesangsfacetten. Die offenbar zahlreichen Manowar-Fans in der Halle finden’s klasse.
Den Abschluss des Tages machen Razor, kanadisches Thrash-Urgestein, die eine ihrer Platten aus den Mittachtzigern weitestgehend am Stück herunterspielen. Leider kommt hier die Akustik der Halle an ihre Grenzen, sodass statt rasender, scharfer Riffs und wuchtiger Grooves im Wesentlichen Snaredrum-durchsetzter Soundbrei das Publikum flutet – rrrBAP!rrrBAP!rrrBAP! Der bellende Gesang gehört bei dieser Stilrichtung wohl dazu, motiviert uns aber nicht den Gig bis zum Ende anschauen zu wollen.
Am Samstag schlagen wir spätnachmittags auf – die erste Band, die wir mitbekommen, ist Artch aus Norwegen. Die 80er-Jahre-Veteranen spielen bodenständigen Power Metal, meist getrieben von rollenden Midtempo-Riffs und melodischen Gesang. Solide Band, guter Auftritt, aber mit begrenztem Erinnerungswert.
Kenn Nardi (ehemals Gitarrist und Sänger bei Anacrusis) bestreitet mit seiner Solo-Band den nächsten Auftritt. Prinzipiell im Progressive Metal mit Thrash-Schlagseite verankert, schafft er es durch abwechslungsreiche, dynamische Song-Aufbauten mit ausreichend melodischen Passagen auch neue Hörer für sich einzunehmen. Variables Drumming und vielseitige Gitarren- und Bass-Sounds helfen, eine bedrohliche Atmosphäre aufzubauen. Einziger Schwachpunkt ist die etwas heisere, nicht besonders imposante Stimme Nardis. Das wird besonders deutlich, als Mario von Mayfair als Gastsänger mit einer Extradosis Sangeskönnen und Charisma die Stimmung im Publikum deutlich steigen lässt und zeigt, welches Potenzial die Band hat.
Praying Mantis machten ihre ersten Schritte in der frühen Jahren der NWOBHM, sind also zumindest chronologisch noch etwas älter als die anderen alten Bands auf dem Festival, wirken aber durchaus jugendlich und bringen ihren beschwingten, melodieverliebten Hardrock gutgelaunt und druckvoll auf die Bühne. Der klare Sound, bei dem auch die mehrstimmigen Gesänge und Gitarrensoli klar und schön rüberkommen, tut ein Übriges zu einem gelungenen Auftritt, der sich auf das Debütalbum „Time Tells No Lies“ konzentriert.
Der Stimmungsbogen an diesem Abend ist gelungen, auf den sehr guten Auftritt von Praying Mantis folgt ein bombiger von Heir Apparent. Die US-Metaller schaffen es mit Songs ihres Album-Klassikers „Graceful Inheritance“, Metal-Magie der alten Schule zu beschwören: virtuoses Gitarrenspiel, das nahtlos zwischen kernigen Riffs, schönen Leads und frickeligen Soli wechselt, agile, treibende Bassläufe, variables, präzises Drumming und dazu hymnische, aber nie billige Gesangsmelodien, kraftvoll von den mittleren Lagen bis in höchste Höhen. So muss das, warum kriegen so viele andere Bands das nicht hin?!
Dann der Höhepunkt: die erste und auf absehbare Zeit einzige Europa-Show von Fates Warning in “Awaken the Guardian”-Besetzung. Vor zehn Jahren noch hatte Gitarrist und Fates-Boss Jim Matheos “AtG” sinngemäß als unreifes Gepfusch bezeichnet, mit dem er nichts mehr zu tun haben wollte. Der Rest der alten Besetzung hatte sich weitestgehend aus dem Business zurückgezogen.
Seitdem ist viel geschehen: Frank Aresti kehrte als zweiter Gitarrist zu FW zurück, Orignal-FW-Sänger John Arch hatte über das Arch/Matheos-Projekt offensichtlich wieder Blut geleckt, und auch Drummer Steve Zimmerman hatte eine neue Band am Start. Nun also, passenderweise zur Walpurgisnacht (vgl. “Night On Bröcken”), das exklusive Reunion-Konzert.
Den ersten Teil der Setlist bildete “Awaken the Guardian”, komplett von vorne bis hinten. Die Band war gut vorbereitet und setzte die zahlreichen melodischen und rhythmischen Winkelzüge der Stücke souverän um. Auch John Arch war deutlich gelöster als beim Arch/Matheos-Konzert 2012, gut bei Stimme, und brachte auch die kniffligsten Gesangspassagen so zielsicher wie erhofft, sodass die zahlreichen emotionalen Höhepunkte der Platte ihre Wirkung entfalten konnten. Im zweiten Teil gab es dann noch die Highlights der ersten beiden Platten, unter anderem ‘The Apparition’ und ‘Epitaph’, die (vielleicht aufgrund ihrer etwas geringeren Komplexität) sogar noch bewegender waren. Insgesamt ein sehr guter Auftritt, auch wenn einige der Nuancen und damit ein bisschen Atmosphäre der CD-Versionen im Live-Getümmel unvermeidbarerweise
untergingen.
Es dürfte den Veranstaltern schwerfallen, in den nächsten Jahren ähnlich spektakuläre Bands zu verpflichten, auch wenn die Spekulationen über den fürs nächste Jahr angekündigten „Big Epic Headliner“ schon begonnen haben.