(3 CDs: 60:09, 64:18, 60:14, 1 Audio-DVD, Cherry Red/Esoteric Records, 2016)
Viele 1970er-Klassiker werden ja mittlerweile in neu abgemischten Versionen und mit opulenter Aufmachung neu auf den Markt gebracht, die aktuelle Medienbuch-Reihe von Jethro Tull sei als Beispiel genannt. Nun ist auch der erste Gitarrist von Genesis, Anthony „Ant“ Phillips, an der Reihe. Auf sein hoch angesehenes Debüt „The Geese And The Ghost“ folgt „Wise After The Event“.
Ganz so aufwändig wie die Tull-Reissues fällt es zwar nicht aus, aber die kleine Box mit drei CDs und einer Audio-DVD in Pappschubern und mit beigelegtem Poster bietet schon für das Auge einiges. Auch der Informationsgehalt des Booklets ist hoch, sodass das Gesamtpaket einen sehr guten Eindruck hinterlässt. Vier Tonträger zu bekommen, heißt nicht, dass man auf ihnen unterschiedliches Material hören kann, doch ist immerhin genügend Stoff da, um diese Deluxe-Version auch für Fans interessant zu machen, denen die Originalfassung bereits vorliegt: CD1 enthält einen neuen Stereomix des Albums, CD3 den Original-Stereomix in einer remasterten Version, die Audio-DVD den 5.1 Surround Sound Mix von 2016; die Tracklist ist auf allen drei Tonträgern identisch. CD2 dürfte am meisten Interesse wecken, denn sie enthält Demos, Outtakes und Extras – allerdings hauptsächlich Alternativ-Versionen der bekannten Stücke.
Mit seinem Debütalbum hatte Anthony Phillips 1977 für Viele sein bestes Album überhaupt hingelegt – für den Rezensenten ein Album für die Insel; sein damaliger Weggefährte Mike Rutherford wirkte entscheidend daran mit. Ende jenes Jahres war die Zeit für den Nachfolger reif. Während der Erstling noch aus vielen langen Instrumentaltiteln bestand, arbeitete Phillips bei “Wise After The Event“ eher Song-orientiert. Zunächst aber war zu entscheiden, mit wem er zusammen arbeiten sollte. Was seinerzeit aus den Angaben auf dem LP-Cover nicht deutlich wurde, ist bei dieser Ausgabe im Booklet ausführlich beschrieben: Dass nämlich Rupert Hine eine ausgesprochen wichtige Rolle einnahm. Er produzierte das Album und war für Phillips ein enger Berater, der im Grunde genommen auch für die Zusammenstellung der beteiligten Musiker verantwortlich war. Als es darum ging, eine Rhythmusfraktion zu finden, hatte Hine gleich die Richtigen parat: Schlagzeuger Michael Giles war schnell an Bord, was Phillips schwer begeisterte, da er von Giles‘ Arbeit bei King Crimson fasziniert war. Anthony Phillips und King Crimson – das sind zwei musikalische Welten, die auf den ersten Blick eigentlich nur schwer zusammen zu bringen sind, aber Querverbindungen sind nicht zu leugnen. Und mit Mel Collins an Saxophon und Flöte ist noch ein weiteres King-Crimson-Mitglied auf diesem Album zu hören; John G. Perry komplettierte die Rhythmusgruppe. Insgesamt ein Team, das exzellente Arbeit ablieferte.
Das Album war im Prinzip schon fertig, als es auf den letzten Drücker noch eine Umstellung der Tracklist gab. Dies führte dazu, dass ursprünglich als Überbrückungs-Instrumentals gedachte Titel komplett gestrichen wurden. Sie sollten später beispielsweise auf „Private Parts & Pieces II: Back To The Pavillion“ wieder auftauchen. Somit ist ein weiteres Rätsel gelöst, denn auf der Cover-Rückseite der Originalfassung war zum Beispiel ein gewisser Robin Phillips an der Oboe aufgeführt, bei einem Song namens ‚Sitars and Nebulous‘, der auf dem Album aber gar nicht enthalten war. Auch waren ursprünglich für drei Songs orchestrale Arrangements vorgesehen, aus Zeitgründen entfiel dies bei zwei Titeln allerdings. Nicht zu retten bleibt allerdings – da das Cover für die Deluxe-Version originalgetreu reproduziert wurde – die auf der Rückseite abgebildete Tracklist. Sie wurde seinerzeit brav mit Laufzeiten versehen, und pro Albumseite (wir befinden uns zu Vinyl-Zeiten) waren 25:61(!) bzw. 26:05 Minuten angegeben, was zu einer vermeintlichen Gesamtspielzeit von 51:66 führt – ein haarsträubender Ansatz. Apropos Cover: Hierfür war erneut Peter Cross verantwortlich, der wie üblich mit viel Liebe zum Detail ein ausgesprochen schönes Kunstwerk und damit eine wunderbar passende optische Umsetzung zu Phillips‘ Themen entworfen hat. Toll.
Zur Musik: Wie schon gesagt, entwickelte Phillips hier statt langen, rein instrumentalen Arrangements eher Song-orientierte Titel. Er spielte sämtliche Gitarren und fast alle Keyboards, wobei der Anteil der elektrischen Gitarre im Vergleich mit seinen übrigen Alben hier relativ hoch ausfiel. Gerade dabei kommen gelegentliche Momente auf, in denen noch eine Spur Genesis herauszuhören ist. Die Songs sind von teils sehr intensiven Stimmungen geprägt, wie beispielsweise das abschließende ‚Now What (Are They Doing To My Little Friends?)’. Und hier kommt ein Punkt ins Spiel, der seinerzeit bei den Aufnahmen intensiv diskutiert wurde: Anthony Phillips ist nämlich auch der alleinige Sänger auf diesem Album – Produzent Hine hatte ihn dazu überredet -, und das kann er definitiv nicht gut.
Der Gesang mag ein wesentlicher Kritikpunkt sein, doch irgendwie passt hier trotzdem alles zusammen. So gehört dieses Werk zu den Highlights in Phillips‘ überaus umfangreichem Katalog. Fazit: ein sehr schönes Album!
Bewertung: 11/15 Punkten (DH 9, JM 11, KR 10)
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