Muttergefühle
Seien wir ehrlich, die Aussicht auf einen Abend mit Muttern kann schon mal ein flaues Gefühl im Bauch verursachen. So ist auch uns etwas mulmig zumute, als wir uns klarmachen, dass wir gleich auf ein schwäbisches Mutter-Biest und einen Tiroler Mutterkuchen in einer ehemaligen Brauerei am Waldrand treffen werden.
Mit Einbruch der Dunkelheit beginnt das Mutterbeast durchs Sudhaus zu dröhnen. Bewaffnet mit zwei Bässen haut das Stuttgarter Stoner-Trio dem Publikum die ersten Stücke um die Ohren.
Dann tauscht Frontmann Cody Barcelona Bass gegen Gitarre aus. Auch sprachlich vollzieht sich ein Wechsel: Röhrte er bisher englische Texte über die Metal-lastigen Stoner-Riffs, widmet er sich nun der deutschen Sprache. Der Höhepunkt ist nach guten 30 Minuten erreicht, als Cody seine noch fiepsende Gitarre zu Seite legt und auf die Knie fällt, um das Konzert mit einer psychedelischen Gitarren-Effekt-Pedal-Improvisation zu beenden.
Obwohl es instrumental nichts auszusetzen gibt, springt der Stimmungs-Funke nicht über den Bühnenrand. Insbesondere scheint Codys Wechsel auf sprachlicher Ebene nicht so gut gelungen wie auf musikalischer. Klingen englische Titel wie ‘Masks’ bereits ein wenig aufgesetzt, so wirken Text und Titel von ‘Der Mensch, das Tier’ regelrecht plakativ. Da das Debütalbum der Stuttgarter erst im Herbst erscheinen wird, verspricht Barcelona am Ende noch, dass der Schlagzeuger sich im Adamskostüm und mit Apfel im Mund am Verkaufsstand räkeln wird, um das Münzgeld der Fans aufzunehmen. Dies blieb jedoch ein leeres Versprechen. Ihre Aufgabe, die knapp 200 Fans vor der Pause aufzuwärmen, haben die Jungs, vielleicht auch dank des schwülen Aprilwetters, dennoch erfüllt.
Dann nehmen die Herren von Mother’s Cake ihre Plätze auf der Bühne ein. Sofort zieht das Trio um den charismatischen Frontmann Yves Krisner das Publikum in seinen Bann – die Tour wird übrigens mit Stolz von BetreutesProggen.de präsentiert. Ein elektrisierendes Knistern dringt mit der Musik durch den Saal und hinterlässt ein Kribbeln auf der Haut. Man denkt zuerst an Jimi Hendrix, dann Keziah Jones, Chick Corea oder war es doch Primus? Porcupine Tree!?
Der Blick fällt auf Bassist Benedikt Trenkwalder, der seinen Oberkörper wie von Spasmen geschüttelt vor und zurück wirft. Das ist es: Tim Commerford, Rage Against The Machine! Plötzlich kommen im dritten Stück ‘Soul Prison’ Elektro-Einflüsse dazu: Drummer Jan Haußels hämmert Viertelnoten auf seiner Kickdrum, Benedikt spielt eine, effektgefilterte Basslinie dazu. Fast glaubt man auf der Tanzfläche eines Elektro-Schuppens zu stehen. Mittlerweile brodelt es im Saal. Die drei Innsbrucker haben das Sudhaus binnen kürzester Zeit in einen Schmelztiegel verwandelt, musikalische Grenzen vollkommen verflüssigt und etwas völlig neues geschaffen. Und daran scheinen sie große Freude zu haben.
Frontmann Yves schickt sich an, ein erstes Wort ans Publikum zu richten, zögert und genehmigt sich doch lieber einen kleinen Schluck. Für mehr als ein breites Grinsen reicht es dann nicht mehr, bevor erneut die Hölle auf der Bühne losbricht. Benedikt beginnt mit seinem Bass, wie ein tasmanischer Teufel, über die Bühne zu fegen und sofort werden die Fans in seinen Wirbel hineingezogen. Um nicht völlig die Kontrolle über den eigenen Bewegungsapparat zu verlieren, sucht man einen Fixpunkt und erkennt Schlagzeuger Jan als ruhenden Pol im wilden Genre-Mix aus psychedelischem Blues-, Hard-, Prog- und Postrock mit stark funkigem Einschlag.
Doch auch er scheint, in einem Mantra versunken, auf seine Weise mitzutanzen. Leichtfüßig und mit viel Zehenspitzengefühl lässt er seine Kickdrum durch den Saal hallen, hämmert Schlag für Schlag das Fundament, den Boden auf dem seine beiden Kollegen toben und dabei die Genres schneller wechseln als andere Bands die Akkorde. Plötzlich scheint auch der Titel ihres Live-Albums „Off The Beaten Track“ sinnig: Musikalisch bewegen sich diese Jungs nicht einfach auf eingefahrenen und ausgelatschten Wegen, um ihr Publikum zu unterhalten. Vielmehr bahnt Haußels, mit erstaunlichem Geschick, rhythmischem Feingefühl und einer saftig klingenden Bassdrum, eigene Wege, Abkürzungen, Schleifen, Brücken und neue Verbindungen, auf denen die Band wie auf Schienen dahinbrettert.
Krismer sagt nach guten 75 Minuten ‘Runaway’ als letzten Titel an. In aller Ruhe beginnt er sein Gitarrenriff aufzubauen, lässt sich Zeit, erzeugt noch einmal Spannung. Er weiß, dass Trenkwalder bereit ist und in wenigen Augenblicken beginnen wird, wie besessen auf seinen babyblauen Bass einzuhämmern, um der tanzwütigen Meute mit seinem unglaublichen Groove den Garaus zu machen. Eine letzte rasante Fahrt durch Progressive, Blues-, Hard- und Psychedelic Rock, immer begleitet von treibenden Rhythmen und unglaublich fetzigen Basslinien. Krismers Stimme mal kratzig rauh, dann schrill kreischend, am Ende nur noch ein Hecheln.
Nach gefühlten 20 Minuten, wir sind inzwischen bei schnellem Punkrock angekommen, entgleist der Zug plötzlich mit lautem Quietschen, als Yves Krismer und Benedikt Trenkwalder vor Jan Haußels Schlagzeug übereinanderpurzeln. Doch Schluss ist noch nicht ganz: Obendrauf gibt es noch ‘Sun’, einen brandneuen Titel, frisch aus dem Innsbrucker Proberaum. Und man traut seinen Ohren kaum: Es scheint, die vergangenen zwei Headliner-Touren haben sie noch besser werden lassen!
Man darf also gespannt sein auf das nächste Album. Beim gemütlichem Plausch am Verkaufsstand erwähnt Krismer mit seinem breiten Grinsen, dass es vorausichtlich im März 2017 erscheinen und „auf jeden Fall irgendwie straigther” wird, was auch immer das für Mother’s Cake bedeuten mag. Wer nicht so lange warten will, kann und sollte sich die Jungs noch in Wiesbaden, Dormagen oder Jena anschauen, bevor sie weiter nach Österreich ziehen. Und wer zum anstehenden Muttertag nicht jedes Jahr den Link zu Danzigs ‘Mother’ per Facebook schicken will, bekommt mit den ersten beiden Alben eine exzellente Alternative.
Surftipps zu Mother’s Cake:
Homepage
Jan Haußels im wohlbetreuten Interview
Konzertbericht, 28.01.15, Köln, Underground
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Wikipedia
Live-Fotos:Madeleine Wegner, Patric Sulz