Jethro Tull – Aqualung (Reissue, 40th Anniversary Adapted Edition)

Jethro Tull Aqualung(2CD/2DVD, Medienbuch, Chrysalis Records/Warner Music, 1971/2016)
Tusch und Vorhang auf für die nächste Veröffentlichung im Zuge der famosen und vermutlich endgültigen Reissue-Reihe klassischer Jethro-Tull-Alben als Medienbücher, unter anderem mit kompletten Remix-Versionen von Steven Wilson.

Ein Rückblick: Bisher verlief das Ganze wunderbar chronologisch geordnet, analog zur Reihenfolge der einstigen Erstveröffentlichungen: Auf „Thick as a Brick“ (von 1972) folgten „A Passion Play“ (1973), „Warchild“ (1974), „Minstrel in the Gallery“ (1975) und zuletzt „Too Old to Rock ’n’ Roll: Too Young to Die!“ (1976). Der rezensierende Tull-Junkie rieb die Hände und leckte sich voller Vorfreude die Lippen: Jetzt also müsste – endlich! – mit „Songs from the Wood“ der Auftakt zur heiß ersehnten frisch aufgebrezelten Feld-, Wald- und Wiesen-Trilogie kommen, zu der auch „Heavy Horses“ und „Stormwatch“ zählen. Zu jenen drei Alben also, auf denen Ian Anderson Ende der Siebzigerjahre Folk, Rock und eine genau richtige Prise Prog aufs Allerfeinste und bis heute unerreicht gut miteinander vermengte. Merke: Die Tullies waren die Folkrock-Band schlechthin. Aber ach, was schneit stattdessen ins Haus? „Aqualung“. Nochmal. Schon wieder! Und nur in Nuancen anders bestückt, als die 2011 ebenfalls bereits mit Wilson-Remixen versehene „40th Anniversary“-Jubiläumsausgabe, über deren Sinn oder Unsinn von der traumhaften Aufmachung mal abgesehen kontroverse Diskussionen entbrannten.

Zum Album selbst muss man nicht mehr allzu viele Worte verlieren. „Aqualung“ mit seinem ikonischen Cover gilt als Meilenstein der Rockgeschichte, für Jethro Tull geriet es 1971 zum kommerziellen Big Bang. Die Band trat hier erstmals mit Bassist Jeffrey Hammond-Hammond sowie mit Keyboarder John Evan als festem Mitglied an, für Gründungsmitglied und Schlagzeuger Clive Bunker war es der Ausstand, seinen Part übernahm später Barriemore Barlow.

Der Titeltrack und ‚Locomotive Breath‘ sind im Prinzip unvergängliche, auf der Bühne allerdings inzwischen leidlich überstrapazierte legendäre Evergreens. ‚Cross-Eyed Mary‘, die einstige Single-Auskopplung ‚Hymn 43‘, ‚My God‘ sowie ‚Wind up‘ hauen einen mit ihrer schieren Energie noch heute vom Hocker – nicht zuletzt auch wegen ihrer neuen, begeisternden Klangqualität. Und mit ‚Cheap Day Return‘, ‚Mother Goose‘ und ‚Wond’ring Aloud‘ fabrizierte Ian Anderson für diese Platte gleich mehrere beglückende akustisch-folkige Kleinode, von deren Kaliber er in den Folgejahren und -Jahrzehnten erfreulicherweise noch sehr viele weitere zustande bringen sollte – auch auf seinen äußerst empfehlenswerten Soloalben “The Secret Language of Birds” und “Rupi’s Dance”.

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Schöne Alternative zur neu erschienen Medienbuch-Reissue, nur etwas anders bestückt und mit LP. Aber teuer!

„Aqualung“ ist die am häufigsten wiederveröffentlichte Tull-Scheibe. Selbst gestandene Sammler kommen ins Schwimmen, wenn sie alle Ausgaben aus dem Effeff herunterbeten sollen – was zu können in diesen Kreisen eigentlich Ehrensache ist. Am bisher opulentesten fiel 2011 die schon erwähnte „40th Anniversary“-Version aus. In voller Pracht als noch heute erhältliche sehr kostspielige „Collector’s Edition“ umfasst sie zwei CDs, jeweils eine DVD und Blu-ray, sowie eine LP. Neben allerlei mehr oder weniger bis dato rarem Bonusmaterial fand sich darauf „Aqualung“ im Original, in einem quadrophonischen Mix aus den 1970er-Jahren, und als Hauptkaufanreiz in neuen Stereo- sowie 5.1-Surround-Mischungen von Steven Wilson.

Dazu hieß es in der Zeitschrift „Good Times“: “Normalerweise sind solche neuzeitlichen Überarbeitungen des Teufels, bei Tulls religionskritischem Rocker gelangen sie göttlich”. Und im „Stereo“-Magazin stand: „Steven Wilson sorgte dafür, dass jetzt alles so klingt, als seien vier dicke Samtvorhänge auf einmal weggezogen.” Genau so ist es, und das gilt für sämtliche bisherigen Tull-Bearbeitungen Wilsons. Der kitzelt nämlich bis jetzt überall buchstäblich unerhörte Feinheiten aus den alten Aufnahmen heraus – fantastisch.

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Flöterich und Multimillionär Ian Anderson wiederum ist nicht nur ein begnadeter Künstler, sondern auch ein gewiefter Geschäftsmann und als solcher dafür berühmt – um nicht zu sagen: berüchtigt –, dass er unermüdlich und trickreich jeden Pfifferling abkassiert, den er kriegen kann. Die Medienbücher-Neuauflagen gehen allem Anschein nach weg wie warme Semmeln und „Aqualung“ lag in dieser Form noch nicht vor, also macht der schlaue Schotte mit der „40th Anniversary Adapted Edition“ zwischendurch halt mal eine Reissue-Rolle rückwärts. Immerhin deutet der Zusatz „Adapted“ freundlicherweise auch darauf hin, dass man inhaltliche Unterschiede zur ersten Vierzigjahresfeier mit der Lupe suchen muss. Im Einzelnen liest sich der “neue” Content so:

CD 1:
Die elf Originaltracks, gemischt und 2011 gemastert von Steven Wilson.
01-Aqualung
02-Cross-Eyed Mary
03-Cheap Day Return
04-Mother Goose
05-Wond’ring Aloud
06-Up To Me
07-My God
08-Hymn 43
09-Slipstream
10-Locomotive Breath
11-Wind-Up

CD 2:
Zusätzliche Aufnahmen aus den Jahren 1970 und 1971, gemixt und gemastert von Steven Wilson.
Direktübertragung der EP „Life Is A Long Song“ mit den Tracks ‚Life Is A Long Song‘ und ‚Up The Pool‘ in dieser Form zum ersten Mal auf CD.
01-Lick Your Fingers Clean
02-Just Trying To Be
03-My God (Early version)
04-Wond’ring Aloud (13th December 1970)
05-Wind-Up (Early Version)
06-Slipstream (Take 2)
07-Up The ‘Pool (Early Version)
08-Wond’ring Aloud, Again (Full Morgan Version)
09-Life Is A Long Song
10-Up The ‘Pool

Original ‘Life Is A Long Song’ EP
11-Life Is A Long Song
12-Up The ‘Pool
13-Dr Bogenbroom
14-From Later
15-Nursie
16-Reprise Radio Advert

DVD 1 (Audio)
„Aqualung“ im 5.1 Surround-Sound-Remix in DTS 96/24-Qualität und AC3 Dolby Digital und 96/24 LPCM Stereo, mit allen zusätzlichen Aufnahmen der Jahre 1970 und 1971. Sieben Songs im 5.1 Surround-Sound-Remix in DTS 96/24-Qualität und AC3 Dolby Digital, alle zehn Songs in 96/24 LPCM Stereo.

DVD 2 (Audio & Video)
– Direktübertragung des Original-Stereomasters in 96/24 LPCM Stereo
– Original-Quadrophonie-Mix 4.1. als DTS 96/24 und AC3 Dolby Digital Surround
– Direktübertragung des Original-Stereomasters der EP „Life Is A Long Song“ in 96/24 LPCM Stereo
– Der Promo-Film „Life Is A Long Song“ von 1971 mit neu gemixtem Stereo-Soundtrack.

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Seit 2012 ist die von Steven Wilson neu gemixte “Aqualung” auch separat als LP erhältlich – lecker!

So weit, so gut – Lupe wieder weglegen. Tja, und: Braucht man diese Ausgabe also? Komplettisten sowieso, denn immerhin hat Anderson für sie in den angeblich längst restlos leergeräumten Archiven – von ihnen schwadronierte er schon nach Veröffentlichung der 1993 veröffentlichten reizvollen Raritäten-Kollektion “Nightcap” – das nette Promo-Filmchen „Life Is A Strong Song“ von 1971 aus dem Hut gezaubert und mit einem neu gemixten Stereo-Soundtrack versehen lassen. Außerdem gibt es „Just Trying To Be”, „Wind Up” (Early Version), „Wond’ring Aloud, Again“ jetzt erstmals als 5.1-Mixe, und zwei einstige EP-Tracks, nämlich „Life Is A Long Song“ und „Up The Pool”, erscheinen in ihrer hier dokumentierten Form erstmals auf CD.

Teapot of the Week
“Teapot of the Week” auf Betreutes Proggen in der KW16/16

Und viele andere Tull-Fans werden sicherlich auch nochmal zuschlagen, dafür sprechen gleich mehrere gute Gründe: Das Package ist akustisch, haptisch und optisch wieder ein Hochgenuss; während des Hörens kann man sich mittels des toll bebilderten 80-seitigen Booklets mit vielen Textbeiträgen stundenlang schmökernd lustvoll auf Zeitreise begeben; und der Preis ist ziemlich heiß – die „40th Anniversary Adapted Edition“ war in der Erscheinungswoche bei einem großen Onlinehändler für knapp 22 Euro zu haben. Das ist doch schön – danke, Ian!
Bewertung: 14/15 Punkten (DS 14, DH 15, KR 13) (Musik), 15/15 (Aufmachung und Ausstattung, Sammlerwert)

PS: Kommt dann wenigstens als nächstes endlich „Songs from the Wood“ an die Reihe? Wohl immer noch nicht, sondern aktuellen Verlautbarungen zufolge anders als zunächst geplant erstmal auch noch „Stand up“ von 1969. Ehrlich. Na dann: Living in the Past, wir warten also weiter. Angenehm verkürzen kann man sich die Zeit, wenn man eines von Andersons diesjährigen “The Rock Opera”-Konzerten** besucht, bei dem er die Geschichte des historischen Jethro Tull  unter anderem mit reichlich “Songs from the Wood”- und “Heavy Horses”-Material in die Gegenwart transponiert. Einige “Best of”-Open Airs* gibt es auch wieder zu erleben, wenn man’s denn noch mag.

02.06. Rastatt, Residenzschloss Ehrenhof *
29.07. Balingen, Marktplatz *
30.07. Erfurt, Zitadelle Petersberg *
31.07. Chemnitz, Wasserschloss Klaffenbach *
16.11. Stuttgart, Liederhalle Beethovensaal **
17.11. Berlin, Admiralspalast **
18.11. Magdeburg, Stadthalle **
19.11. Lingen (Ems), EmslandArena **
21.11. Frankfurt/M., Alte Oper **
23.11. Mannheim, Rosengarten Mozartsaal **
24.11. Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle **
26.11. Halle/Saale, Georg-Friedrich-Händel-Halle **
27.11. Kempten, Bigbox **
28.11. Nürnberg, Meistersingerhalle **

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