GOMO PaRK, 15.4.16, Tübingen, Club Voltaire

Von wegen schwäbische Pünktlichkeit!

Mit nicht ganz höflicher Verspätung betritt das Stuttgarter Parkhüter-Trio die Bühne im spärlich besuchten Club Voltaire. Dafür geht dann alles ganz schnell.

Kaum ist Carsten Netz´ Ankündigung des Openers ‘Letter Dell’ verhallt, fällt ein kleiner Papierzettel aus seiner Hand und flattert zu Boden. Dann weht eine sanfte Elektro-Melodie aus den Boxen, die er auf seinem kleinen Keyboard spielt. Jörg Bielfeldt, Drummer und geistiger Vater des Titels, sitzt mit Kopfhörern hinter seinem Schlagzeug und wartet geduldig. Er wirft einen letzten prüfenden Blick auf das neben ihm aufgestellte Regal, von wo aus ihm zahlreiche Effektgeräte und Controller entgegenblinken. Dann setzt er mit einem einfachen Shaker-Rhythmus ein. Carsten drückt zum ersten Mal auf einen der Knöpfe seiner Wundermaschine, die er auf einem einfachen Holzbrett vor sich aufgebaut hat. So startet er den ersten Loop auf seinem alten Yamaha-Sequenzer, der mit Jörgs Effektregal verkabelt ist.

gomo tweakSofort beginnt ein Synthesizer-Arpeggio im Takt zu dudeln. Nun steigt auch Basser Michael Deak ein und verleiht dem Klang eine warme Fülle. Auch er hat ein blinkendes Sammelsurium an Effekt-Gerätschaften vor sich auf dem Boden ausgebreitet, mit denen er seinen Bass mal hart und knackig, mal weich und “waberig” erklingen lässt.

Der Sound verdichtet sich weiter, als Jörg zu den Schlagzeugstöcken greift. Man fragt sich, ob man bei einem Konzert oder auf der Tanzfläche eines Elektro-Schuppens gelandet ist. Dann beendet Carsten das Rätselraten, nimmt seine Klarinette und beginnt eine effektgeschwängerte, sanfte Melodie darüber zu säuseln. So beginnt der Tanz durch den GOMO PaRK. Und der hat es in sich. Nach kurzem Applaus lässt Carsten einen zweiten Zettel zu Boden segeln. Diesmal geschieht etwas anderes: Er hat seine Klarinette inzwischen zur Seite gestellt und widmet sich wieder dem Sequenzer. Auf Knopfdruck sind die sonderbarsten Geräusche zu hören: Es knattert und knarzt, es quietscht wie die Scharniere einer alten, schlecht geölten Tür. Düstere Wolken ziehen über dem Park auf und eine spannungsgeladene, seltsam beklemmende Stimmung breitet sich aus. Auf Knopfdruck legen sich federnde, Comic-artige Geräusche darüber. Die Bilder im Kopf wechseln vom klassischen Suspense-Horrorfilm der Siebzigerjahre zu “Tom & Jerry”.

Wie zum Henker macht er das?gomo park_schnute Immer wieder greift er nach seiner Maschine, nimmt feine Korrekturen an den vielen Reglern und Rädern vor, verändert damit den Charakter der Samples und Loops, macht sie flüssig und formbar, dehnt sie aus und zieht sie zusammen, wie es ihm gefällt. Offenbar gefällt das auch den knapp 30 Zuhörern, denn die ersten beginnen wieder, sich hin und her zu wiegen. Dann kommt Michael mit einem feucht klingenden, flatulenten Bass dazu und die Angelegenheit nimmt langsam Fahrt auf. Als der komplexe Rhythmus einsetzt, greift Carsten blitzschnell zur Querflöte und trällert eine Melodie, die fröhlich hallend durch den Club zieht. Nach einer ausgedehnten Improvisation, scheint die beklemmende Stimmung vom Anfang wie weggeblasen. Es wird eifrig getanzt.

Das Publikum wähnt sich in Sicherheit, der unbekannten Bedrohung knapp entkommen, als der Frontmann plötzlich die Horror-Geräusche wieder auftauchen lässt. Der studierte Jazzmusiker und Multiinstrumentalist ist ein Meister der Improvisation. Mit Keyboard, Saxophon, Querflöte, Klarinette oder dadaistisch angehauchten Phrasen, die er ins Mikrophon säuselt, ergänzt er die programmierten Elektro-Loops um eine organische und warme Freiheit. Und die schöpft er voll aus!

Doch Schlagzeuger Jörg bewahrt kühlen Kopf – trotz steigender Temperaturen im Club. Obwohl er die Kontrolle über den Takt durch die Verbindung zum Sampler scheinbar aufgegeben hat, hält er noch immer die Zügel in der Hand, bremst Carsten bevor er zu übermütig wird, damit aus Krautonic nicht Kraut und Rüben wird. Sein Schlagzeug hat er radikal umgebaut: Statt der üblicherweise angebrachten Tom-Toms hat er zwei zusätzliche Snares an seiner Bassdrum befestigt. Diese malträtiert er mal mit Händen und Füßen, mal mit Stöcken und Drahtbesen, um stampfenden Techno, komplexe, jazzige Rhythmen, dann wieder Drum & Bass Beats erklingen zu lassen, die den tanzwilligen Zuhörern direkt in die Beine fahren. Und auch er kann improvisieren. Richtig zur Sache geht es, als er  einen seiner Beats aufnimmt, wieder abspielt und dann beginnt, den eben aufgenommenen Loop um zahlreiche Fills zu ergänzen.

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Gut, dass die Jungs nach den ersten sechs Nummern eine kleine Verschnaufpause für sich und ihre Fans eingeplant haben.

Dann öffnet der GOMO PaRK zum zweiten Mal die Tore. Weitere Zettel fallen zu Boden. Inzwischen hat der Techniker die Bässe hochgedreht, Carsten hat sein knalloranges Raver-Oberteil gegen ein schlichtes, graues Strickjäckchen getauscht und Drummer Jörg lädt das Publikum herzlich ein, die leeren Plätze vor der Bühne zu füllen. Dort angekommen befinden sich die Fans inmitten eines Gestrüpps aus schnellen Basstönen, die Michael mit seinem Fünfsaiter produziert. Sein Sound ist mittlerweile so effektbeladen, dass die einzelnen Töne zusammenwachsen. Ein schwabbeliges Dickicht aus Bass rankt um den Park , macht ihn kleiner, droht die Zuhörer einzuschließen. Bevor das Publikum in den Dornröschenschlaf sinkt, erfolgt wieder der Wechsel: Eine orientalische Melodie erklingt, weht wie eine sanfte Brise aus den Boxen, bringt Licht in die beengende Dunkelheit, lässt sie verblassen. Als wäre es ein Stift, zeichnet Carsten mit seiner Klarinette ein neues Bild. Wüste, Karawanen, eine Oase.

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Ein Konzert mit GOMO PaRK gleicht einer musikalischen Weltreise, die uns über Umwege auf einen kleinen Bauernhof in den Vogesen führt. Der Endpunkt ist nicht zufällig gewählt. Immer wieder packen die drei ihre Koffer und Kisten voller Mikrofone, um sich dorthin zurückzuziehen. Ihre Songs tragen Namen wie ‘Cette fois’ , ‘La Vache Qui Rit’ oder ‘Skizze 8’, denn dort, umgeben von Wäldern und grinsenden Kühen, finden sie Zeit und Ruhe, um Skizzen festzuhalten, die sie auf der Bühne ausmalen. Dort liegt nach zwei Zugaben ein beachtliches Häufchen der kleinen Zettel, aus denen die Setlist zusammengestellt war. Damit der Park sauber bleibt, fegen die freiwilligen Helfer des Club Voltaire am Ende alles säuberlich zusammen. Na dann: “Muuuuh!

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Live-Fotos: Madeleine Wegner