Am 5. November 1985 standen Marillion auf der Bühne der Eissporthalle in Frankfurt. Die Band war mit “Misplaced Childhood” auf dem Höhepunkt ihres Erfolges und landete mit ‘Kayleigh’ einen der ganz wenigen Hits einer Prog-Band in den Achtzigern. Keine vier Jahre später trennten sich die Wege von Marillion und ihres Sängers Fish. Erstere fanden in Steve Hogarth einen neuen charismatischen Frontmann, während Fish unter eben jenen Namen seine Solo-Karriere startete. Der Rest ist Geschichte. 30 Jahre und 11 Tage nach dem Gig in Frankfurt steht Derek W. Dick ca. 25 Kilometer weiter nördlich auf der Bühne der Stadthalle in Friedberg und führt zum 30. Jubiläum das 80er-Werk noch einmal in voller Länge auf.
Als gegen 21:15 Uhr die Lichter in Friedberg ausgehen (von Fish im übrigens konsequent und den gesamten Abend als “Freiberg” ausgesprochen), ist die Halle mit rund 1.000 Menschen gut gefüllt. Zuvor hatten bereits Lazuli aus Frankreich und die Neu-Isenburger Prog-Metal-Formation Beyond the Bridge das Publikum in Stimmung gebracht. Fish hat in den vergangenen Jahren schon vor deutlich weniger Publikum gespielt, was zeigt, dass “Misplaced Childhood” immer noch zieht. So erlebt ein Gros der Zuschauer eine Zeitreise der besonderen Art, so sie mit Fish und dem Album gemeinsam gealtert sind. Der gute Derek wird später humorvoll an die Sache herangehen und die kahlen Köpfe („The Shine!“), Bierbäuche („Beer bellys“) und Männerbrüste („Man tits“) thematisieren, ist er doch selbst davon betroffen. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch jüngeres Publikum im Saal gesichtet wurde.
Zunächst stehen aber ein paar Songs aus Fishs Solo-Karriere auf dem Programm. Diese verlief, wie man weiß, im kommerziellen Sinn nur wenig erfolgreich. Dennoch finden sich in Fishs Solo-Katalog viele großartige Songs. Live entwickeln diese oft eine besondere Dynamik. Das progressive ‘Pipeline’ vom 94er-Album “Suits” entpuppt sich als hervorragender Opener, danach kommen mit ‘Feast of Consequences’ und ‘Family Business’ Titel aus der jüngsten bzw. frühesten Solo-Phase. Gerade vom seinem durchaus gelungenen letzten Album hätte man gerne noch mehr gehört. Dafür verriet uns Fish das Geheimnis, wie er von seiner Freundin in Karlsruhe gesundgepflegt wurde, nachdem die gesamte Band in der Woche zuvor von einem Grippe-Virus in die Knie gezwungen worden war und insgesamt drei Gigs abgesagt werden mussten. Es waren die Quarkwickel!!! Mit Käse auf Brust und Rücken (O-Ton Fish) eingewickelt musste der Arme zwei Tage das Bett hüten, und nur dank dieser Therapie stand er nun wieder in alter Frische auf der Bühne.
Vor dem etwas langatmigen ‘The Perceptions Of Johnny Punter’ nimmt sich Fish Zeit, in einer emotionalen Ansprache auf die tragischen Ereignisse in Paris einzugehen. In seiner einmaligen Art und Weise schaffte er es, einen ganzen Konzertsaal zum Zuhören zu bewegen.
Im Anschluss dann das, worauf die Mehrheit des Publikums gewartet hatte: “Misplaced Childhood” in voller Länge. Oft sind solche Revivals nicht frei von peinlichen Momenten, aber schon mit den ersten Tönen von ‘Pseudo Silk Kimono’ ist es um das Publikum inklusive der Berichterstatter geschehen. Sicher, die Stimme von Fish ist in den letzten Jahren hörbar gealtert, und auch Tempo und Tonlage sind hie und da etwas angepasst. Trotzdem feiert das Publikum sich und die Band ab. Jede Silbe wird mitgesungen. Hier steht ein Künstler auf der Bühne, der zusammen mit seiner entspannt agierenden Band vielleicht das Werk seines Lebens mit Inbrunst darbietet. Insbesondere Robin Boult, der den Rothery-Part übernimmt, gebührt besondere Anerkennung, da er den Spagat zwischen punktgenauer Kopie und eigener Attitüde mit Bravour meistert. Gegen Ende merkt man Fish zwar an, dass die vorangegangene Erkrankung Spuren hinterlassen hat, doch umso mehr Anerkennung bringt ihm das Publikum dafür entgegen.
Mit den Zugaben ‘Market Square Heroes’ und dem Quasi-Abschiedssong an Marillion ‘The Company’ kommt er noch einmal, inzwischen mit einer Flasche Weißwein ausgestattet, auf die Bühne zurück, um danach ein zufriedenes Publikum in eine regnerische Novembernacht zu entlassen. Da Fish seinen Abschied vom Musikbusiness für die nähere Zukunft bereits angekündigt hat, war es höchstwahrscheinlich die letzte Gelegenheit das Werk noch einmal auf der Bühne zu hören. Es war schön, dabei gewesen zu sein.
Text: Dieter Hoffmann und Henrik Kropp
Live-Fotos: Henrik Kropp
Surftipps zu Fish:
Homepage
YouTube
Prog Archives