(68:29, CD, Sony Music, 2015)
Jean Michel Jarre ist ja eher dafür bekannt, Dinge in wirklich großem Stil anzugehen. Sein neues Werk, das auf zwei Teile angelegt ist, ist kein Jarre-Album im herkömmlichen Sinn. Er hatte sich vorgenommen, mit ausgewählten Musikern zusammenzuarbeiten, und hat sie dementsprechend allesamt persönlich angesprochen. Und zwar suchte er den direkten Kontakt zu den Musikern, ohne Umwege über Management etc., was unter anderem auch intensive Reisetätigkeiten implizierte. Auf diesen Reisen holte er sich keine Absagen, sondern alle Angesprochenen sagten zu. Grundtenor war, dass Jarre seine Kompositionen den entsprechenden Beteiligten zukommen ließ und diese sich dann nach ihrem eigenen Gusto einbringen konnten. Die Geschichte der elektronischen Musik mit ihren Anfängen speziell in Deutschland und Frankreich bis hin zu aktuellen Sounds unter anderem aus den Bereichen House und Techno – das alles spiegelt sich in der Zusammenstellung der Kollaborateure wider.
Auf den 16 Songs sind 15 Solokünstler oder Bands vertreten, die gemeinsam mit dem Initiator die Kompositionen finalisierten. Dabei hat Jarre (mittlerweile auch schon jenseits der 65) bewusst generationenübergreifend gedacht und sich mit jungen wie auch alteingesessenen Künstlern zusammengetan, gemischt aus unterschiedlichsten musikalischen Genres, denen aber eine gewisse Grundnähe zur elektronischen Musik gemein ist. Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass ein recht buntes Gemisch herausgekommen ist, die 16 Songs klingen wahrlich nicht alle gleich, eher hat es fast Sampler-Charakter.
Bei derartigen Zusammenarbeiten stellt sich u.a. die Frage, wie viel JMJ und wie viel von Interpret XY in den einzelnen Songs steckt. Besonders schwierig wird dies natürlich, wenn man die Mitwirkenden namentlich gar nicht kennt. Boys Noize, M83, Little Boots, Fuck Buttons, oder lustige Namen wie Gesaffelstein – noch nie vorher gehört. Kein Wunder, ins Prog-Genre sind diese sicherlich nicht einzuordnen. Eher natürlich in eine der vielen Spielarten der elektronischen Musik – und davon gibt es wirklich sehr viele.
Manche Songs hätte man niemals mit Jarre in Verbindung gebracht, andere wiederum sind sehr leicht als solche erkennbar. Andererseits gibt es auch sehr bekannte Namen, um nicht zu sagen Superstars. Zum Beispiel Lang Lang. Es ist sicherlich keine Kunst, den Titel von Jarre & Lang herauszufinden. Gleiches gilt für Tangerine Dream, obwohl dazu zu sagen ist, dass es durchaus mehrere Songs auf diesem Album gibt, die TD-Anklänge aufweisen. Andere bekannte Namen sind zum Beispiel Pete Townshend, Laurie Anderson oder John Carpenter.
Die Ehre, das Album mit dem Titelsong zu beginnen, wurde dem DJ Alexander Ridha alias Boys Noize zuteil. Und dieser lebt nicht nur in Berlin, sondern seine Musik klingt auch Berliner-Schule-beeinflusst. Ein exzellenter, gut gewählter Einstieg ins Album. Auf sämtliche Songs ausführlich einzugehen, würde sicherlich zu weit führen. Bedingt durch die ausgesprochen breit gestreute musikalische Vielfalt werden unterschiedlichste Fangemeinden angesprochen, manche werden die erwähnte Berliner Schule bevorzugen und sich die entsprechenden Songs herauspicken. Wer Techno mag, wird sich beispielsweise mit dem Song mit Armin van Buuren anfreunden, wobei dieser auf sehr geschickte Weise Techno mit Jarre-typischen Melodielinien verknüpft. Hier ist eindeutig herauszuhören, dass Jarre seine Finger im Spiel hatte.
Auch einige Nummern mit Gesang sind vertreten. So beispielsweise die mit M83 um Anthony Gonzalez entstandene nette, radiokompatible Nummer. Singen tun auch Moby, The Who’s Pete Townshend (ziemlich eigenartiger Song), Robert “3D” Del Naja von Massive Attack (eigenwillig und interessant). Mit Little Boots entstand eine Electropop-Nummer, die das Zeug dazu hat, garantiert jeden Prog-Fan nachhaltig zu verschrecken. Der emotionale Sprechgesang-Beitrag von Laurie Anderson ist ebenfalls erwähnenswert. Dass Jarre auch mit seinen Landsleuten Air zusammenarbeitete, bot sich förmlich an, das Resultat ist in Form eines sechsminütigen Titels zu hören, gefolgt von einem zweigeteilten Song, den Jarre zusammen mit Vince Clarke einspielte, den man von Depeche Mode, Yazoo oder Erasure kennen darf. Dieser Song, ‘Automatic‘, erinnert gelegentlich ein wenig an TD und gehört zu den Highlights des Albums.
Ebenfalls interessant ist der leider etwas kurz geratene Titel ‘A Question Of Blood‘, der den Soundtrack-Experten klar raushängen lässt: Dies ist eine 1A-Filmmusik-Nummer von JMJ & John Carpenter (Stichwort ‘Halloween‘, ‘The Fog‘, ‘Die Klapperschlange‘).
Das über siebenminütige ‘The Train & The River‘ beschließt das Album in typischem Jarre-Stil, der hier auf beeindruckende Weise von Starpianist Lang Lang am Piano begleitet wird – eine sehr starke und eigenwillige Nummer, und eine Zusammenarbeit, auf die Jarre nicht nur besonders stolz ist, sondern die wohl beiden auch sehr viel Spaß gemacht hat.
Teil 2 wird im nächsten Jahr erscheinen und Jarre plant tatsächlich, damit auf Tour zu gehen. Wird wohl in größeren Hallen stattfinden müssen – wie gehabt …
Eine Punktbewertung ist bei derlei Alben bedingt durch die extremen Streuungen sehr schwierig bis fast aussichtslos. Ignoriert man die wenigen kompletten Ausreißer nach unten, ergibt sich
Bewertung: 10/15 Punkten
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