(51:36, CD, Long Branch Records/SPV, 2015)
Agent Fresco, das junge Quartett aus dem Land der Geysire und Vulkane, legen dieser Tage ihr neues Album “Destrier” vor. Die Erwartungen sind hoch, denn das Vorgängeralbum “A Long Time Listening” sorgte 2010 bereits europaweit für viel positive Presse. Um diese Messlatte zu überwinden bemüht die Formation um Sänger Arnór Dan Arnarson nicht, wie es vielleicht nahe liegend wäre, die einheimischen Islandponys, sondern ein Kriegspferd, den Destrier. Diese Pferde wurden im Mittelalter speziell für den Kampf gezüchtet und ausgebildet, legendär sind sie für ihre Stärke. So gerüstet begibt sich Arnarson in seine vielschichtige Schlacht der Emotionen und wird dabei vom Hörer begleitet.
Eröffnet wird das Konzeptalbum mit dem Song ‘Let Them See Us’, in dem mit wenigen verzerrten Tönen langsam eine bedrohliche Stimmung aufbaut wird, die dann in einer gewaltigen Entladung gipfelt. Die Schlacht hat begonnen, wir stehen dem Feind gegenüber. Dabei handelt es sich um zwei Männer, die den Frontmann von Agent Fresco in einer Nacht vor drei Jahren attackierten und ihm schwere Schädelverletzungen zufügten. Mit der Komposition dieses Albums sollten die Ereignisse aufgearbeitet werden, zunächst mit beabsichtigt angefachten Zorn- und Angstgefühlen. Arnarson hierzu: “Im Umgang mit meinem Zorn wurde ich fast zum Opfer meines eigenen persönlichen Stockholm-Syndroms …“, er litt unter Panikattacken und Schlafstörungen. Tatsächlich kann man diese Komponenten auf “Destrier” wiederfinden.
Auch führten Arnarsons psychische Probleme während der Studioarbeiten dem Vernehmen nach zu temporärem Stimmverlust. Das ist kaum vorstellbar, denn nicht nur bei ‘Dark Waters’, der bereits vor über einem Jahr veröffentlichten ersten Singleauskopplung des Albums, beeindruckt der Sänger mit seinem Timbre und dem enormen Stimmumfang. Der Gesang wird kraftvoll von Gitarre und Schlagzeug unterstützt. Letzteres verleiht auch dem Folgestück ‘Pyre’ seinen ganz charakteristischen Sound. Beim Titelsong ‘Destrier’ werden die Abgründe und die Schönheiten des Kampfes vereint, stakkatohafte harte Klänge kombiniert mit fließenden Melodien. Dieses Stilmittel durchzieht das gesamte Album.
Das Stück ‘Wait For Me’, das erst vor wenigen Tagen als Single veröffentlicht wurde, nimmt auf dem Album eine Sonderstellung ein. Der Song ist ein Tribut an die Familie des Komponisten Arnarson, der im Alter von 20 Jahren seinen Vater aufgrund einer Krebserkrankung verlor und anschließend von seiner Familie getrennt lebend viele wichtige Lebensereignisse seiner Angehörigen verpasste und dies sehr bedauert. Für das Video zu diesem Song wurde ein Zusammenschnitt der privaten Filmaufnahmen seiner Familie aus Kleinkindtagen angefertigt. Auf den Erinnerungen an diese lange vergangene Zeit beruht auch ‘Howls’, ein Song mit deutlich härterer Gangart, bevor mit ‘The Autumn Red’ und ‘Citadel’ der Bogen zurück zum eigentlichen Leitthema geschlagen wird.
‘See Hell’, die dritte Single, glänzt mit harten Gitarrenriffs und Synthieklängen und leitet über zum abgrundtief traurigen ‘Let Fall The Curtain’ und dem hymnischen ‘Bemoan’, das von Pianoläufen getragen wird und im Refrain einen dunklen Zauber entfaltet. ‘Angst’ vertont wohl das letzte Aufbäumen während der Schlacht, das in schierer Raserei aus Hass, Verzweiflung und Aggression mündet, Arnarsons Stimme deckt auch diese Facette eindrucksvoll ab. Der Kampf ist vorbei, mit Herzklopfen verabschieden wir uns bei ‘Death Rattle’ vom Schlachtfeld.
Die Nachschau erfolgt mit ‘Mono No Aware’, einem siebenminütigen Quasi-Instrumentalstück. Es erscheint wie eine zusammenfassende Interpretation des Albums, bei dem lediglich in einer kurzen Sequenz wenige Textzeilen des Titeltracks wiederholt werden und eine Fokussierung auf die Qualitäten von Arnarsons Bandkollegen Hrafnkell Örn Guðjónsson (Drums / Percussions), Vignir Rafn Hilmarsson (Bass) und Þórarinn Guðnason (Gitarre, Piano, Synthesizer) zulässt. “Destrier” endet wie es begonnen hat, reduziert auf die bekannten verzerrten Töne und auf ein beklemmendes Gefühl.
Nach 14 Songs und gut 50 Minuten Hörerlebnis steht fest, dass Agent Fresco vor allem in den dunkelsten Passagen des Albums “Destrier” eine beeindruckende emotionale Umsetzung der Thematik gelungen ist. Stilistisch bewegen sie sich dabei irgendwo zwischen Prog- und PostRock, Metal und Alternative, mit spielend leichten Wechseln oft innerhalb eines Songs, angereichert mit Elementen der Elektronischen Musik. Sehr gelungen ist ebenfalls die Balance aus kraftvoll lärmenden Passagen und ruhigeren Abschnitten, die nie langweilen oder gar aufgesetzt wirken.
Nach diesem Wechselbad der Emotionen bleibt nur festzuhalten: diese Schlacht ist zwar geschlagen, aber der Krieg ist hoffentlich noch nicht vorbei. Denn wir wollen mehr!
Bewertung: 12/15 Punkte (AD 12, AI 12, KR 12)
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