(68:32, CD, Metal Blade/Sony, 2015)
Rund drei Jahre nach dem sechsten Überflieger-Album “The Parallax II: Future Sequence”, auf welchem die amerikanische Band endlich ‘angekommen’ schien, stehen BTBAM einmal mehr mit einem neuen Album auf der Matte – angesichts der Komplexität und all der technischen Kleinigkeiten und Finessen eine beeindruckende Leistung, zumal es sich Tommy Rogers nicht nehmen ließ, im letzten Jahr so ganz nebenbei unter dem Banner Thomas Giles sein zweites, ja eigentlich drittes Soloalbum “Modern Noise” zu veröffentlichen (vor “Pulse” erschien unter dem simplen Namen Giles noch ein elektronisches Soloalbum).
Das Konzept hinter “Coma Ecliptic” mutet extrem düster, aber umso spannender an: Ein namenloser Mann liegt im Koma und lässt seine vergangenen Leben Revue passieren. Jeder einzelne Song repräsentiert hierbei einen Tag, und das erinnert spontan an “The Twilight Zone” (was im Waschzettel auch – wenig überraschend – als beabsichtigt nachzulesen ist). Der Protagonist muss sich nach jedem Tag entscheiden, ob er nun an diesem Punkt verharren will oder seine Suche nach dem ‘Perfekten’ weiterführt – er findet das ‘Perfekte’, muss aber nun eine Entscheidung treffen, ob er weiter leben möchte oder nicht. Und es stellt sich die Frage, ob all das, woran er sich zu erinnern meinte, überhaupt real war. Das Koma als Katharsis? Lohnt sich das Leben, so wie es tatsächlich sein wird, wenn er erwacht?
Laut Selbstaussage bedeutet “Coma Ecliptic” nicht etwa bloß eine weitere Stufe der Evolution. Nein, für BTBAM beginne ein neues Leben, und »[…]Nach einem Jahr in den Welten von “Quadrophenia”, “Operation: Mindcrime” und”The Wall”, nicht zu vergessen den Musicals von Sondheim und Lloyd-Webber, Strawinskis und Mussorgskys symphonischen Suiten, war es ganz natürlich, eine überdrehte, dramatische und fortschrittliche Rock-Oper zu komponieren […]« – somit reihen sich die fünf in die Reihe derer ein, die selbstverständlich – auch wenn es ungesagt bleibt – das beste, tollste und “vielste” Album ihrer gesamten Laufbahn zustande gebracht haben. Dies ist nur in den seltensten Fällen ohne Beigeschmack, und auch bei “Coma Ecliptic” muss der Musikgourmet skeptisch schmatzen und sich fragen, was das für ein “Geschmäckle” ist.
Bandtypisch nehmen die Spielzeiten der Songs einmal mehr Längen von bis zu fast zehn Minuten ein, die einzelnen Songs sind hochkomplex, höllisch episch und von den Haarspitzen bis zum Fußnagelrand maximaltechnisch. Auch hinsichtlich Stilmixtur ist auf Between The Buried And Me Verlass: Metal in verschiedenster Couleur, meist in extremer Gestalt, trifft auf hochmelodische Elemente, die zuweilen auch mal rockfremd sein dürfen, wenngleich nicht mehr so ausgeprägt wie auf früheren Alben. Der ProgMetal-, vor allem aber der ProgRock-Anteil wurde hörbar nach oben geschraubt, und wenn der Rezensent nicht gerade unter Wahrnehmungsstörungen leidet, ist der Grunzbrüllkreischanteil trotz all des Melodie-Overkills erstaunlich hoch. Passt bis hierhin alles wunderbar.
Sicherlich (#1) steckt auch “Coma Ecliptic” voller Wahnwitz, voller unorthodoxer Songstrukturen und lächerlich grandioser Breaks, voller ergreifender Melodien, voller instrumentaler Kabinettstückchen, welche dem Zuhörer den Unterkiefer ausrenken und ihm einen Gesichtsausdruck bescheren, der auf einen niedrigen zweistelligen Intelligenzquotienten schließen lassen könnte. Spacige Intros wie in ‘Rapid Calm’, eruptive Momente wie beispielsweise im Titeltrack sowie die sich an der Eiseskälte (wie im analogsynthesizerarpeggioschwangeren ‘Dim Ignition’) reibende Wärme (wie im mit positiv tönenden Momenten durchsetzten ‘The Ectopic Stroll’), was – der meteorologisch halbwegs Bewanderte wird es erahnen – für heftige Gewitter (Wahrscheinlichkeit liegt bei etwa 60%) sorgt. Und die jazzigen Momente sind fürwahr herzerwärmend. Aber (#1).
Sicherlich (#2) fanden sich im BTBAMschen Schaffen schon immer Charakteristika, die die Band als die Band, die sie ist, auszeichnete und ihr somit unauswaschbar den Stempel der Einzigartigkeit aufdrückten. Aber (#2).
Sicherlich (#3) haben Between The Buried And Me schon immer mit ihren kompositorischen und instrumentalen Fähigkeiten geklotzt statt gekleckert (ja, die 5€ für das Floskelsparschwein liegen bereit) und dies entsprechend nach außen getragen. Aber (#3).
Aber… was?
Während auf vergangenen Veröffentlichungen – insbesondere die beiden parallaktischen Werke – alles in perfekter Harmonie miteinander verwoben war, hat “Coma Ecliptic” zahlreiche Unwuchten. Gerade, wenn die progrockenden Terrains betreten werden, verlieren BTBAM oftmals ihr Gesicht und zeigen sich erschreckend häufig recycelnd. Eben nicht etwa sich selbst, sondern das Werk der “Großen” wiederkäuend – etwas, was die Band gar nicht nötig hat, wo sie doch spätestens seit diesem Jahrzehnt selbst eine feste Größe darstellt.
Auch wohnt der virtuosen Komponente des Bandsounds dieses Mal eine Art ‘Dreamtheaterisierung’ inne, die so noch unbekannt war. Soll heißen: Die Band zeigt, was sie auf der Pfanne hat, doch es fehlt an zahlreichen Stellen an Seele – stattdessen wird nahezu prätentiös ein musikalisches Zirkusprogramm durchgezogen, getreu dem Motto: »Hey, schaut, was wir alles können! Könnt ihr das auch? Ha, schaut mal, und jetzt nur auf einem Bein und mit geschlossenen Augen!« – was zur Folge hat, dass (zumindest aus Sicht des Rezensenten) zwischen Hörer und Gehörtem eine gewisse Distanz entsteht. War “The Parallax II: Future Sequence” noch das extravagante, raffinierte, wunderbar bequeme, anschmiegsame, warme Ganzkörperkondom, ist “Coma Ecliptic” mitunter dessen kratzendes, nicht recht passen wollendes, klinisch-kaltes Pendant, das auch nach mehrmaligem Tragen nicht den erwünschten Tragekomfort zu bieten hat.
Zudem erwartet ganz bestimmt niemand, dass sich die Band mit jeder Veröffentlichung neu erfindet, doch das ekliptische Koma birgt eine Repetitivität in sich, die in dieser Art eher negativ überrascht – immer wieder ereilen den Hörer Déjà-entendus: Dieses oder jenes kennt man in ähnlicher Klanggestalt bereits von den Vorgängerveröffentlichungen des Quintetts, und man muss sich fragen: Tut das not?
Was bleibt, ist ein siebtes Album einer lebenden Legende, das zwar zweifellos im obersten Qualitätsviertel anzusiedeln ist, jedoch die selbst höher gelegte Messlatte reißt – es bleibt hinter den Erwartungen zurück, und erstmals entsteht der Eindruck, als begännen BTBAM zu schwächeln.
Bewertung: 10/15 Punkten (CP 10, KR 12)
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