Das besondere Festival an einem Ort mit nicht zu übersehendem geschichtlichem Hintergrund, mit großer Herzlichkeit und nicht zuletzt abwechslungsreicher Progmusik
08. Mai: Nach einem unvergesslichen, schweißtreibenden und Herzinfarkte begünstigenden Aufstieg zum Ort des Geschehens eröffnete sich für alle Musikbegeisterte ein einzigartiger Blick auf die beeindruckende historische Kulisse Heidelbergs begleitet von traumhaften Frühlingstemperaturen. Schnell war klar, ein Progressive-Rock-Festival in diesem Ambiente kann einfach keine Enttäuschung sein! Um es vorweg zu nehmen, das am 2. Maiwochenende durch Delicious Irony Promotion liebevoll organisierte Festival Prog The Castle wurde dann tatsächlich ein unvergessliches Erlebnis und das nicht nur für alle angereisten Kölner Alt- und Jungproggies.
Gleich beim Eingang zum Königssaal des Schlosses verspürte jeder die ausgesprochen persönliche Note welche das so charmante wie herzliche Organisator-Paar Ella Opilio und Brian Dade nicht nur bei der Ticketausgabe versprühte.
Die Musik ist das eine, das Drumherum und die Location das andere und auch keinesfalls aus den Augen zu verlieren. Der atmosphärische Schlossinnenhof lud zu jeder Zeit zum musikalischen Plausch und Gedankenaustausch ein. Auch für das leibliche Wohl war in jeglicher Hinsicht gesorgt. Ob vor, nach oder während der Auftritte sollte eine Unterhopfung, ein Beerendurst oder ein knurrender Magen eher die absolute Ausnahme bleiben.
Jeweils fünf Bands am Freitag und am Samstag sorgten für ein dichtes und erfreulich abwechslungsreiches musikalisches Programm. Um 18.30 Uhr ging es pünktlich los mit der deutschen Progmetalband Effloresce. Das junge deutsche Quintett aus Nürnberg, das im Jahre 2009 mit der EP “Shades Of Fate” ihre erste Scheibe veröffentlichte, polarisierte das Publikum schon etwas. Die druckvolle und vielleicht manchmal auch etwas zu laute Performance der Truppe um die frisch verlobte Leadsängerin Nikki Weber, die auch einige Growl-Attacken zum besten gab, traf wohl eher weniger den Nerv der “Prog-Weicheier” unter uns. Die Progmetal-Fans sind aber ganz bestimmt auf Ihre Kosten gekommen und so sollte es ja sein.
Nach einer kurzen Umbaupause (was sich übrigens während des gesamten Festivals nahezu perfekt durchzog) betraten um 19 Uhr 45 die Berliner Crystal Palace die Bühne. Die deutschen Melodic-Artrocker sorgten für einen starken Kontrast zur Eröffnungsband und konnten mit ihren eingängigen Melodien das Publikum ebenfalls zu starkem Applaus animieren. Auch wenn die Gesangsperformance von Bassist “Yenz” (Jens Uwe Strutz) nicht zu den Stärken des Auftritts gehörten, so wussten sie im instrumentalen Zusammenspiel das Publikum auf Ihre musikalische Reise mitzunehmen.
Um 21 Uhr startete dann der von der Kölner Betreuungs-Community für diesen Abend heiß ersehnte Auftritt der deutsch singenden Artrocker Traumhaus. Die Band um Gründungsmitglied und Mastermind Alexander Weyland, der singt und die Keyboards bedient, hatten leider einen unerwartet, holprigen Start. Mögen die technischen Probleme am zuvor fehlenden bzw. zu kurzen Soundcheck gelegen oder anderen Ursachen haben, egal, es ist halt live! Obwohl Alexander etwa eine halbe Stunde seine Keyboards über den Monitor so gut wie gar nicht hören konnte, meisterte er dieses Handicap sehr professionell. Nachdem die Techniker das Problem endlich ausgeräumt hatten, wurde der Sound insgesamt besser und die Performance von Traumhaus zu einem Höhepunkt des ersten Festival Tages. Sowohl Ray Gattner mit seinem exzellenten Schlagzeugspiel, als auch Till Ottinger am Bass sorgten für ein ausgezeichneten satten Grundrhythmus, wobei ihre Fähigkeiten an den Instrumenten durch ihr variationsreiches Spiel ein Genuss für verwöhnte Ohren waren. Auch Gitarrist Tobias Hampl fügte sich mit seinem gefühlvollen und präsisen Saitenspiel positiv ins Gesamtbild ein. Mit den lyrischen deutschen Texten und dem angenehmen Gesang von Keyboarder Weyland wusste die Band nach den Anfangsproblemen rundum zu begeistern.
Um kurz vor 22 Uhr 30 startete das polnische Quintett AnVision, eine Band die man der Fraktion melodisch/sphärischer Progmetal zuordnen könnte. In alt bekannter polnischer Progtradition wurden schnell Erinnerungen an die bekannteren Riverside oder vielleicht auch Osa Vida geweckt. Mit teils härteren Passagen aber auch immer wiederkehrenden melodisch, sphärischen Versatzstücken wussten die Polen die Anwesenden durchaus zu fesseln. Nachdem die letzten Töne einer weiteren musikalische Facette auf dem Festival verklungen waren, bereitete sich schon spürbar die Vorfreude auf die deutschen New Art Poprocker aus, nämlich…
Yogi Lang sowie Kalle Wallner und seine Jungs läuteten dann zur Geisterstunde den würdigen Abschluss des ersten Festivaltages ein. Mit bestem Sound und professioneller Performance gelang ihnen dieses (wie nicht anders erwartet) auch eindrucksvoll. Über 90 Minuten wurde ein breiter Querschnitt ihres inzwischen über 15-jährigen Schaffens geboten. Die Erläuterungen ihrer gesellschaftskritischen Texte waren Sänger und Keyboarder Yogi in dieser Nacht ein besonderes Anliegen. Die altersbedingt schwächelnde Kölner Prog-Gang vermochte allerdings leider nicht mehr ganz bis zum Ende des Auftrittes zu verweilen. In die Ohren eingebrannte Musik, lukullische Genüsse in fester und flüssiger Form, sowie die fortgeschrittene Zeit hatten bereits deutliche Spuren hinterlassen bevor noch der beschwerliche Fußmarsch über 313 Stufen hinab ins Hotel zu bewältigen war.
9. Mai: Wie am Vortag ging es mit der zweiten Festival-Runde um 18.30 Uhr los. Zuvor blieb also ausreichend Zeit die Altstadt Heidelbergs und das Neckar-Ufer unsicher zu machen. Aber auch Defizite in der Magen- und Darmgegend sollten nicht unberücksichtigt bleiben, denn Stärkung in jeglicher Hinsicht ist bei jedem Festival ja bekanntlich das A und O.
Nachdem auch der letzte Hamburger mit Pommes im kultigen “Die Kuh die lacht” seinen Bestimmungsort gefunden hatte, hieß es erneut den beschwerlichen Aufstieg zum Schloß zu meistern. Mit der entsprechenden Vorfreude auf unsere Freunde der Canterbury-Progger Argos gelang dieses aber auch wesentlich unbeschwerter. Obwohl sie nach Veröffentlichung ihrer schon vierten CD “A Seasonal Affair” erst zum insgesamt dritten Mal live auftraten, war dieser Gig sicherlich einer der Höhepunkte des Festivals. Freunde des komplexeren Progrocks sollten hier voll auf ihre Kosten kommen. So waren perfekt eingebaute Anleihen und musikalische Spritzer von Bands wie Van der Graf Generator, Genesis, Caravan, Hatfield & the North und Yes nicht von der Hand zu weisen. Die fünfköpfige Band praktizierte, bei bestem Sound, excellent, sinfonische Melodien und kann sich somit jederzeit einem Vergleich mit den zuvor genannten Bands stellen. Markenzeichen ist sicherlich der Hammill-artige Gesang von Keyboarder Robert Gonzon, das packende und präzise Gitarrenspiel von Rico Florczak und das variationsreiche Schlagzeugspiel von Ulf Jacobs. Zweitkeyboarder Thilo Brauss bereicherte den Klangkosmos und Kompositionsmeister Thomas Klarmann verband mit seinem groovigen Bassspiel und vereinzelten Flötenklängen den gekonnten Fluss von Melodie und Rhythmus. Ihr einstündiger Auftritt bot Stücke ihres kompletten Repertoires, wobei der Longtrack ‘Cruel Symmetry’ nachhaltig in den Ohren der begeisterten Zuhörer verblieb.
Danach gab es wieder etwas für die weniger empfindlichen Gehörgänge. Die Italiener Neverdream boten nach erneut erfreulich kurzer Umbauphase den Freunden des Progmetal ein weiteres Highlight. Mit düster-melodischen Rockmusik à la Riverside oder Evergrey und einer kräftigen Lautstärke gefielen sie ihren Fans ausgezeichnet. Die anderen nutzten halt die Zeit um Reben– und Hopfendefizite auszugleichen. So gab es keinerlei Leerlauf und überall breitete sich Zufriedenheit aus.
Pünktlich um 21 Uhr betraten dann die britischen Neoprogger Also Eden die Bühne. Jetzt war wieder etwas mehr für die Zartbesaiteten unter uns dabei. Der musikalische Wohlklang mit eingängigen Titeln wurde deutlich vom Publikum aufgesogen. Bereits 2005 gegründet, ist allerdings nur noch der Gitarrist Simon Rogers mit von der Partie. Insgesamt hat der intensive Wechsel der Bandmitglieder der musikalischen Qualität nicht nachhaltig geschadet. Hervorzuheben ist sicherlich der überzeugende Leadsänger und Rhythmusgitarrist Rich Harding, der es verstand, dem Auftritt der Neoprogger den Stempel aufzudrücken. Aber auch das Wechselspiel zwischen Keyboards und Gitarren vermochte zu gefallen. Als Grad der Begeisterung dürfte der hohe Andrang am Merchandise Stand der Band zu werten sein.
Als vorletzter Act des Festivals starteten die Franzosen Elora ihren Auftritt um 22 Uhr 30. Sänger Damian Dahan und Sängerin Elodie Clairin sind die Zugpferde der Marseillianer, die melodischen Hardrock mit chansonesken Passagen mischen. Natürlich wird hier Französisch gesungen und die Musik lässt schon mal an Nemo, Riverside oder Porcupine Tree denken. Die Rhythmusgruppe erzeugte ein kompaktes knackiges Fundament, wobei Keyboarder Patrice Cannone sowie Gitarrist Lionel Giacobbé dezente Sololäufe intonierten. Insgesamt hinterließen die Franzosen einen positiven Eindruck.
Ein Festival ohne einen krönenden Abschluß hätte den Namen Prog the Castle nicht verdient. Zu weit voran geschrittener Stunde sollte diese Zeremonie uns aber nicht vorenthalten bleiben.
Den Jungs von Anubis aus Down Under sollte es vorbehalten bleiben den ausharrenden Fans ein Feuerwerk der musikalischen Freude zu vermitteln und wieder neue Lebensgeister einzuhauchen. Frisch aus Sydney und für nur drei Konzerte in Europa mit drei Studioalben und einer Live Scheibe im Gepäck angereist, war nun reichlich Material vorhanden um neues Leben in die alten Heidelberger Gemäuer zu bringen.
Das bestens eingespielte Sextett mit ihrem fast 1 ¾-stündigen Auftritt tat das was es am Besten kann – spielen… Und wie! Die Gründerväter David Eaton (Keyboards) und Robert James Moulding (Gesang) haben eine spielfreudige Band zusammengestellt, die in dieser Besetzung schon seit 2006 zusammen musiziert. Irgendwo zwischen New Art Rock auch an Coldplay sowie klassischem Symphonic Prog erinnernd, begeisterten sie das in der Zwischenzeit stark reduzierte Publikum. Vor allem die Gitarristen Douglas Skene und Dean Bennisson wussten mit ihrem ausgezeichneten Spiel zu überzeugen. Und wenn Dean Bennisson seine Solos zum Besten gab, dachte man zeitweise, David Gilmour stehe auf der Bühne. Bassist Anthony Stewart bedarf auch einer speziellen Erwähnung, da er unermüdlich und präzise seine Saiten bearbeitete und somit für einen ausgezeichneten Rhythmusteppich sorgte. Das scheinbar nimmer müde Publikum, sowie die beiden Konzertveranstalter waren nach dem regulären Auftritt mit Zugabe so euphorisiert, dass die Band eine weitere, nicht abgesprochene Zugabe spielen musste.
Erst gegen 2 Uhr morgens und mit einer Vielzahl sehr emotionaler Danksagungen, sowohl von Keyboarder David Eaton als auch von den Veranstaltern lla und Brian endete dieses einmalige und unvergessliche Festivalwochenende. Wenn es 2017 wieder heißen sollte „Prog the Castle“ die zweite, dann sind wir wieder dabei! (Anmerkung der Schlussredaktion: eine Neuauflage ist laut den Veranstaltern “2017, für das gleiche Wochenende” definitiv geplant)
Nochmals großen Dank an die Veranstalter dieses gelungenen Festivals!
Text: Horst-Werner Riedel
Live-Fotografie: Timo Riedel
4 Kommentare
Super Bericht mit tollen Fotos!! gut gemacht Jungs!!
wunderbar geschrieben, Herr Proghorst. Das treibt einen den Neid in den Kopf!
Und tolle Fotos! Die Konkurrenz schläft nicht! Superbe, Timo!
Jungs, das ist zuviel der Ehre, aber dennoch danke !!!!!!!
Liest sich ja so, als wäre man dabei gewesen. Ups, war ich ja 😉
Toll geschrieben und wunderschöne Fotos vom Riedel-Team !!!!